Es ist nicht ganz klar, welche Motive bei Führungskräften wünschenswert sind. Frühe Untersuchungen nahmen an, dass Führungskräfte nach Einfluss und Kontrolle streben sollten (Machtmotiv) und ein geringen Wunsch nach positiven Beziehungen haben sollten (Anschlussmotiv). Die Evidenz, die sich seitdem akkumuliert hat, ist jedoch etwas inkonsistent und widersprüchlich. Diese Dissertation greift die Rolle von Macht- und Anschlussmotiven für Führung erneut auf, wobei zwei wichtige Unterschiede zu vorherigen Untersuchungen bestehen. Erstens unterscheidet diese Dissertation zwischen wünschenswerten (funktionalen) und unerwünschten (dysfunktionalen) Varianten von Macht- und Anschlussmotiven, basierend auf existierenden Konzeptualisierungen dieser Motivvarianten. Zweitens unterscheidet sie zwischen zwei verschiedenen Klassen von Indikatoren für effektive Führung. Wir bezeichnen die erste Gruppe als prototypische Indikatoren effektiver Führung, da diese ein substanzielles Ausmaß subjektiver Beurteilungen enthalten, die von Führungsprototypen beeinflusst sind. Die andere Gruppe bezeichnen wir als prosoziale Indikatoren effektiver Führung.
Methode: In einem ersten Schritt (Kapitel 1) erstellen wir eine Übersicht über bisherige Forschung zur Rolle unbewusster (impliziter) Macht- und Anschlussmotive für Führung (k = 24, N = 2113) und leiten unser Ziel ab, Skalen zur Messung funktionaler und dysfunktionaler Varianten bewusster (expliziter) Macht- und Anschlussmotive zu entwickeln. Kapitel 2 führt diese neuen Skalen ein und validiert diese mithilfe von Daten aus einer Feldbefragung (N = 961) and einer Längsschnittbefragung (N = 35). Kapitel 3 untersucht die Beziehungen zwischen Motiven und vier prototypischen Indikatoren für effektive Führung (der fremd- und selbsteingeschätzten Führungskompetenz, dem Führungsmotiv sowie dem Innehaben einer Führungsposition) anhand von Daten aus der Feldbefragung. Kapitel 4 fokussiert auf die Beziehungen zwischen Motiven und drei prosozialen Indikatoren effektiver Führung. Es nutzt Daten von einer Laboruntersuchung (N = 201), in der Gruppen aus 3 bis 4 Personen eine Partie des Spiels Die Siedler von Catan: Ölquellen spielen. Hierbei erfassen wir, inwieweit die Teilnehmenden Kooperation (vs. Egoismus) verbal befürworten und wieviele Ölkatastrophen sie auslösen. Kapitel 4 greift ebenfalls auf Daten aus der Feldbefragung zurück, in der die Teilnehmenden (einschließlich N = 257 Führungskräften) auf Szenarien reagieren, welche Gelegenheit für unethische Geschäftsentscheidungen bieten. Kapitel 5 vergleicht Männer und Frauen in den funktionalen und dysfunktionalen Varianten der Macht- und Anschlussmotive.
Ergebnisse: Modellvergleiche legen nahe, dass sich funktionale und dysfunktionale Varianten der Macht- und Anschlussmotive voneinander unterscheiden lassen. Weitere Analysen zeigen, dass prototypische Indikatoren von Führung positiv mit einem funktionalen Machtmotiv und negativ mit einem dysfunktionalen Anschlussmotiv zusammenhängen. Prosoziale Indikatoren von Führung hängen positiv mit einem funktionalen Anschlussmotiv und negativ mit einem dysfunktionalen Machtmotiv zusammen. Frauen berichten im Mittel ein stärkeres funktionales Anschlussmotiv, wohingegen Männer ein stärkeres dysfunktionales Machtmotiv angeben. Frauen erreichen höhere Werte auf den prosozialen Indikatoren von Führung, was partiell auf Geschlechtsunterschiede in Motiven attribuiert werden kann (Mediation). Viele der Ergebnisse waren über Substichproben mit unterschiedlichem beruflichen Status hinweg robust sowie nach Kontrolle für Persönlichkeit, schlussfolgerndes Denken oder implizite Motive.
Diskussion: Die vorliegende Dissertation leistet einen Beitrag zur Literatur über die Rolle von Motiven für Führung, indem sie zeigt, dass Macht- und Anschlussmotive bei Führungskräften gleichermaßen vorteilhaft sein können, allerdings für unterschiedliche Klassen von Ergebnisvariablen. Es ist wichtig, zwischen funktionalen und dysfunktionalen Varianten beider Motive zu unterscheiden, da die dysfunktionalen Motivvarianten für manche Klassen von Führungskriterien hinderlich sein können. Es ist bemerkenswert, dass sich Männer und Frauen in manchen Motivvarianten im Mittel systematisch unterscheiden, und zwar in Richtung eines Führungsvorteils von Frauen (Frauen berichten höhere Werte in einer wünschenswerten Motivvariante und geringere Werte in einer unerwünschten Motivvariante). Wenn Organisationen diese Erkenntnisse auf Rekrutierung, Auswahl und Entwicklung von Führungskräften anwenden, dann kann dies mehr Frauen in Führungspositionen lenken. Allerdings deutet Kapitel 6 auf potenzielle Hindernisse bei diesem Vorhaben hin. Genauer gesagt tendieren Beurteilende dazu, egoistisches Verhalten als effektives Führungsverhalten zu bewerten (was im Einklang mit männlichen Führungsstereotypen steht und unseren Daten zufolge Männer bevorzugt). Ein bloßes Bewusstsein über geschlechtsbezogene Diskriminierung beugt diesen stereotypischen Bewertungsmustern nicht vor. Wir sprechen uns für Interventionen aus, die mehr Wertschätzung für kooperative Führungskräfte hervorrufen sollen, anstelle von einer Erhöhung eines Machtmotivs bei Frauen. | German |