Beim klassischen Hodgkin Lymphom (cHL) handelt es sich um eine maligne Erkrankung des hämatopoetischen Systems, die durch ein einzigartiges histologisches Muster charakterisiert ist. Die Tumormasse ist hauptsächlich aus infiltrierten Lymphozyten und anderen Zellen hämatologischen Ursprungs zusammengesetzt, jedoch aus nur sehr wenigen neoplastischen Zellen. cHL-Tumorzellen werden durch CD30 als wichtigsten immunologischen Marker charakterisiert. Die Mehrheit der Patienten mit cHL in einem frühen Stadium können durch Standardtherapie, einer Kombination aus multimodaler Chemotherapie und Radiotherapie, behandelt werden. Jedoch sind Behandlungsmöglichkeiten für Patienten, die nicht empfänglich für die Standardtherapie sind oder ein Rezidiv erleiden, noch unzureichend. In den letzten Jahren haben neue Ansätze für die Behandlung von cHL basierend auf Immuntherapie an Bedeutung gewonnen. CD30 ist als Zielmolekül dabei von besonderer Bedeutung, da es auf anderen Zellen nur sehr gering exprimiert wird. Onkolytische Viren (OV) kombinieren die selektive Lyse von Tumorzellen mit der Induktion einer antitumoralen Immunantwort. Da sie jedoch einen relativ breiten Tropismus aufweisen, wurden verschiedene Strategien entwickelt, um die Tumorselektivität zu erhöhen. Ein Ansatz basiert auf dem Retargeting des Zelleintritts viraler Partikel auf einen bestimmten Rezeptor der Wahl durch genetische Modifikation der viralen Hülle.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einer neuartigen Behandlungsstrategie für cHL, die auf genetisch modifizierten CD30-targetierten OV beruht. Dazu wurden Masernviren (MV) und Vesikuläre Stomatitis Viren (VSV) so verändert, dass sie CD30 als Rezeptor für die Infektion von CD30+ cHL Tumorzellen verwenden. MV CD30 und VSV CD30 basieren auf einem kürzlich beschriebenen CD30-spezifischen Einzelkettenantikörperfragment (scFv) und wurden für diese Arbeit zur Verfügung gestellt. Für die Generierung von VSV CD30 wurde VSV G deletiert und gegen die modifizierten Glykoproteine von MV CD30 ersetzt. In der vorliegenden Arbeit wurde zunächst die spezifische Infektion von zwei verschiedenen CD30+ cHL Tumorzelllinien, L 428 und KM H2 gezeigt. Zusätzlich wurde die onkolytische Aktivität von MV CD30 und VSV CD30 in vitro untersucht. VSV CD30 tötete beide cHL Tumorzelllinien nach Infektion ab, wohin gegen gesunde CD30+ T Lymphozyten vor der Infektion mit CD30-targetieren Viren geschützt waren. VSV CD30 replizierte schneller als MV CD30 und erreichte höhere Maximaltiter. Darüber hinaus gaben infizierte Zellen VSV CD30 deutlich effizienter in das Zellkulturmedium ab als MV CD30, so dass VSV CD30 zellfrei aus dem Überstand aufgereinigt werden konnte.
Für präklinische Studien wurden zwei xenograft Tumormausmodelle von humanem cHL in immundefizienten NSG Mäusen etabliert. Zuerst wurde ein lokales Tumormodell etabliert, in dem die Tumorzellen in einem subkutanen (s.c.) Tumor wuchsen. Subkutane KM H2 Tumore wurden durch die VSV CD30 Behandlung in ihrem Wachstum verlangsamt, s.c. L 428 Tumore jedoch nicht. Zusätzlich konnte aus s.c. KM H2 Tumoren replizierendes VSV CD30 isoliert werden. Das Wachstum der s.c. KM H2 Tumore wurde durch ein Hydrogel aus künstlicher extrazellulärer Matrix („Matrigel“) stabilisiert. Demnach wurde ein Tumormausmodell basierend auf KM H2 Zellen als am besten geeignet identifiziert. Basierend darauf wurden die antitumoralen Aktivitäten von MV CD30 im Vergleich zu VSV CD30 untersucht. Sowohl intratumoral als aus systemisch appliziertes VSV CD30 verlangsamte das Tumorwachstum der cHL Tumore über mehrere Wochen, was zu einem signifikanten Überlebensvorteil der tumortragenden Mäuse führte. Zusätzlich wurde ein disseminiertes Tumormodell etabliert, um das Tumorwachstum einer klinisch relevanten Situation besser wiederspiegeln zu können. In diesem Modell reagierten ebenfalls einige Mäuse auf die VSV CD30 Behandlung durch Verlangsamung des Tumorwachstums. Im Unterschied zu cHL waren CD30+ anaplastisch-großzellige Lymphom (ALCL) Tumorzelllinien nicht suszeptibel für eine Infektion mit VSV CD30, jedoch für die Infektion mit MV CD30 in vitro. Diese Beobachtung zeigt, dass das onkolytische Potential von VSV CD30 nicht verallgemeinert werden kann und für jede Tumorart einzeln untersucht werden muss.
Die Charakterisierung von VSV CD30 in dieser Arbeit liefert die Grundlage, auf der weiterführende präklinische Studien durchgeführt werden können für eine Anwendung als Therapeutikum gegen cHL. | German |