Die Quantenchromodynamik (QCD) als fundamentale Theorie der stark wechselwirkenden
Teilchen sagt die Existenz einer Phase mit freien Quarks und Gluonen voraus, die als Quark-
Gluon-Plasma (QGP) bezeichnet wird. Gemäß dem kosmologischen Standardmodell befand
sich das frühe Universum in einem extrem heißen und dichten Zustand und enthielt bis wenige
Mikrosekunden nach dem Urknall ein QGP. In relativistischen Kern-Kern-Kollisionen kann
ein QGP kurzzeitig hergestellt und untersucht werden. Das so erzeugte QGP existiert nur etwa
10 fm/c (Größenordnung 10^(-23) Sekunden), dann sinkt durch die Expansion des Mediums
die Temperatur unter die Phasenübergangstemperatur und Quarks und Gluonen werden wieder
in farbneutralen Hadronen gebunden. Dieser hadronische Endzustand wird in Detektoren
gemessen und erlaubt Rückschlüsse auf die Eigenschaften des QGP. Ein charakteristischer Effekt
ist der Energieverlust von hochenergetischen Partonen (Quarks und Gluonen) bei der
Durchquerung des umgebenden Mediums. Dieser Energieverlust wird in Messungen als Unterdrückung
von hochenergetischen Hadronen sichtbar. Eine Einführung in die Grundlagen von
relativistischen Schwerionenkollisionen findet sich in Kapitel 1.
Der Large Hadron Collider (LHC) des CERN in Genf erreicht die größten Kollisionsenergien
aller bisherigen Teilchenbeschleuniger und liefert seit seiner Inbetriebnahme Proton–Proton-(pp), Blei–Blei-(Pb–Pb) und Proton–Blei-(p–Pb) Kollisionen für die Experimente. Das ALICE-Experiment
ist primär auf die Untersuchung des QGP in Pb–Pb-Kollisionen konzentriert, misst
aber auch pp- und p–Pb-Kollisionen. Die pp-Kollisionen dienen dabei als wichtige Referenzmessung
um nukleare Effekte in p–Pb- und Pb–Pb-Kollisionen zu untersuchen. Darüber hinaus
lassen sich Vorhersagen von störungstheoretischer QCD und Monte-Carlo-Modellen überprüfen.
Messungen in Pb–Pb-Kollisionen ermöglichen es, die Mechanismen des Energieverlusts zu
untersuchen und das QGP zu charakterisieren. In p–Pb-Kollisionen wird kein QGP erzeugt und
es lassen sich Effekte des nuklearen Anfangszustands untersuchen.
Im Rahmen dieser Arbeit wurden Daten von allen drei Kollisionssystemen analysiert, die in
den Jahren 2010-2013 vom ALICE-Detektor aufgezeichnet wurden und daraus die Verteilung
des Transversalimpulses pT von inklusiven primären geladenen Teilchen bestimmt. Für die
Analyse wurden Teilchenkollisionen mit einem Trigger mit minimalem Bias ausgewählt. Als
Triggerdetektoren dienen der Silizium-Pixel-Detektor (SPD) sowie in Vorwärtsrichtung zwei
Szintillationsdetektoren (V0-A und V0-C) beiderseits des Kollisionspunktes. Die Rekonstruktion
der Spuren von geladenen Teilchen erfolgt mithilfe der Spurendriftkammer TPC (Time
Projection Chamber) und des Silizium-Detektors ITS (Inner Tracking System). In Kapitel 2
dieser Arbeit wird der ALICE-Detektor vorgestellt. Nur Spuren, die bestimmte Qualitätskriterien
erfüllen, werden in der Analyse berücksichtigt. Die Auswahl von langen Spuren mit
zahlreichen Rekonstruktionspunkten ermöglicht eine optimale Transversalimpulsauflösung.
Außerdem wurden nur Spuren berücksichtigt, die mit dem primären Vertex verträglich sind.
Damit wird der Anteil an Sekundärteilchen, die aus Zerfällen von kurzlebigen Teilchen und
aus der Wechselwirkung mit dem Detektormaterial stammen, unterdrückt. Für beide Kriterien
ist es notwendig, dass die Spuren auch im ITS gemessen wurden. Die aus den Daten
rekonstruierten pT-Spektren werden um die Unzulänglichkeiten der Akzeptanz des Detektors
und der Effizienz der Spurenrekonstruktion sowie für den Anteil sekundärer Teilchen korrigiert.
Die Korrekturfaktoren werden aus simulierten Teilchenkollisionen gewonnen, auch das
Verhalten des gesamten Detektors wird dabei simuliert. Die Transversalimpulsauflösung wurde
aus den Fits der gemessenen Spuren bestimmt und die Spektren damit für Effekte der
begrenzten Auflösung korrigiert. In p–Pb-Kollisionen erfolgt eine zusätzliche Akzeptanzkorrektur,
um Ergebnisse im Schwerpunktsystem des Nukleon-Nukleon-Systems zu erhalten. Die
Normierung der korrigierten Spektren berücksichtigt die Triggereffizienz, die Rekonstruktionseffizienz
des primären Vertex und die Selektion der Ereignisse. Dabei sind besonders die
Ereignisse relevant, in denen keine Spuren rekonstruiert wurden, die aber dennoch zur Normierung
beitragen. Die Ergebnisse werden als differentieller Wirkungsquerschnitt (pp) und als
differentieller Yield (pp, p–Pb, Pb–Pb) präsentiert. Die Analyse von Pb–Pb-Kollisionen erfolgt
als Funktion der Zentralität, in p–Pb-Kollisionen wurden verschiedene Bereiche der Pseudorapidität
getrennt untersucht. Folgende Faktoren wurden in Bezug auf Ihren Einfluss auf das
Messergebnis untersucht und zur Bestimmung der systematischen Unsicherheiten verwendet:
die Variation der Auswahlkriterien für Ereignisse und Spuren, die Bestimmung der Zentralität
in Pb–Pb-Kollisionen, der Einfluss der Triggerbedingung sowie die Rekonstruktion des
primären Vertex, die Effizienz der Spurenrekonstruktion, die Transversalimpulsauflösung, die
Variation der Materialmenge im Detektor, die Variation der relativen Verhältnisse der primären
Teilchenspezies (vor allem Pionen, Kaonen und Protonen), die Abhängigkeit von dem zur Simulation
benutzen Monte-Carlo-Modell und der Anteil an sekundären Teilchen. Die Details
der Datenanalyse samt Korrekturen und systematischen Unsicherheiten sind in Kapitel 3 ausführlich
dargestellt.
Die Ergebnisse werden in Kapitel 4 präsentiert. Es wurden pT-Spektren für primäre geladene
Teilchen im zentralen Rapiditätsbereich gemessen, die einen pT-Bereich von minimal
150 MeV/c bis maximal 50 GeV/c abdecken. Die Begrenzung auf pT > 150 MeV/c ist durch
die bei kleineren Impulsen rapide sinkende Effizienz bedingt, zu höheren pT hin sind die pT-Auflösung
und die statistischen Unsicherheiten die begrenzenden Faktoren.
In pp-Kollisionen wurden Transversalimpulsverteilungen für die Pseudorapidität |eta| < 0.8
bei den Schwerpunktsenergien sqrt(s) = 0.9 TeV (für pT < 20 GeV/c), sqrt(s) = 2.76 TeV (für
pT < 32 GeV/c) und sqrt(s) = 7 TeV (für pT < 50 GeV/c) gemessen. Im Bereich niedriger pT fällt
der Wirkungsquerschnitt dabei annähernd exponentiell mit pT ab, bei hohen pT wird das von
QCD vorhergesagte Potenzspektrum beobachtet. Im Vergleich zu den gemessenen Spektren ist
ein mit störungstheroretischer QCD berechneter Wirkungsquerschnitt um etwa einen Faktor
2 zu groß. Auch keines der getesteten Monte-Carlo-Modelle kann das Spektrum über den
gesamten Bereich beschreiben.
Nukleare Effekte in Pb–Pb- (p–Pb-) Kollisionen werden durch das Verhältnis RAA (RpPb) quantifiziert.
Dabei wird die Teilchenproduktion im QCD-Medium (p–Pb, Pb–Pb) mit der im QCD-Vakuum
(pp) verglichen. RAA (RpPb) ist das Spektrum in Pb–Pb- (p–Pb-) Kollisionen dividiert
durch das mit der mittleren Anzahl der Nukleon-Nukleon-Kollisionen multiplizierte Spektrum
in pp-Kollisionen der gleichen Energie. Abweichungen von der Skalierung mit Nukleon-
Nukleon-Kollisionen sind als von Eins verschiedenes Verhältnis erkennbar. Die Verhältnisse RAA
und RpPb erleichtern einen Vergleich mit theoretischen Modellrechnungen, da sich Unterschiede
in der zugrunde liegenden Produktion von Teilchen im QCD-Vakuum teilweise aufheben.
In p–Pb-Kollisionen beträgt die Schwerpunktsenergie im Nukleon-Nukleon-System sqrt(sNN) =
5.02 TeV. Da für diese Energie keine entsprechende Referenzmessung von pp-Kollisionen existiert,
muss das Referenzspektrum aus den bei sqrt(s) = 2.76 TeV und sqrt(s) = 7 TeV gemessenen
Daten abgeleitet werden. Für pT > 5 GeV/c wurden hierzu die bei sqrt(s) = 7 TeV gemessenen
Spektren auf sqrt(s) = 5.02 TeV skaliert. Die Skalierungsfaktoren stammen aus dem Verhältnis
der mithilfe störungstheroretischer QCD berechneten Spektren. Im Bereich von niedrigen pT
sind störungstheoretische Berechnungen nicht verlässlich, daher wurde für pT < 5 GeV/c
zwischen den gemessenen Daten bei sqrt(s) = 2.76 TeV und sqrt(s) = 7 TeV interpoliert. Dabei wurde
die Energieabhängigkeit des differentiellen Wirkungsquerschnitts durch ein Potenzgesetz
beschrieben.
In einem kurzen Testlauf mit p–Pb-Kollisionen 2012 wurden pT-Spektren und RpPb im Bereich
0.5 < pT < 20 GeV/c gemessen. Nachdem 2013 weitere p–Pb-Kollisionen mit einer
um fast zwei Größenordnungen höheren Statistik aufgenommen wurden, konnte die Messung
auf 0.15 < pT < 50 GeV/c ausgedehnt werden. Für beide Datensätze wurden neben
einem Bereich zentraler Pseudorapidität (|etaCMS| < 0.3) auch zwei Intervalle in Richtung des
fragmentierenden Bleikerns (0.3 < etaCMS < 0.8 und 0.8 < etaCMS < 1.3) untersucht. Die Teilchenproduktion
in p–Pb-Kollisionen zeigt bei großen pT > 5 GeV/c eine Skalierung mit der
Anzahl der binären Nukleon-Nukleon-Kollisionen. Bei niedrigen pT zeigen sich, wie erwartet,
Abweichungen von dieser Skalierung, wobei bei sehr niedrigen pT < 500 MeV/c die Teilchenproduktion
etwa mit der Anzahl der an der Kollision beteiligten Nukleonen skaliert.
In Pb–Pb-Kollisionen wurden pT-Spektren und RAA für neun verschiedene Zentralitätsintervalle
im Bereich von 0% (zentralste Kollisionen) bis 80% (periphere Kollisionen) gemessen,
die 0.15 < pT < 50 GeV/c abdecken. In zentralen Kollisionen zeigt sich eine starke Unterdrückung
der Teilchenproduktion, auch bei größtem pT. Für die 0-5% zentralsten Kollisionen
ist RAA ~0.13 um pT = 7 GeV/c und RAA ~0.4 bei pT = 50 GeV/c. Mit abnehmender Zentralität
ist die Unterdrückung schwächer ausgeprägt. Die Ergebnisse bei großem pT in peripheren
Kollisionen sind mit der Annahme einer inkohärenten Überlagerung von Nukleon-Nukleon-
Kollisionen verträglich. Bei sehr niedrigen (pT < 0.5 GeV/c) und mittleren (4 < pT < 8
GeV/c) Transversalimpulsen skaliert die Teilchenproduktion näherungsweise mit der Anzahl
der beteiligten Nukleonen.
Die Analyse der pT-Spektren in pp- und p–Pb-Kollisionen wurde ergänzend auch als Funktion
der Anzahl von rekonstruierten geladenen Teilchen Nacc durchgeführt. Damit lässt sich die
Korrelation von mittlerem Transversalimpuls <pT> mit der Multiplizität untersuchen. Durch eine
entsprechende Gewichtung wird dabei <pT> auch als Funktion der wahren Multiplizität Nch
abgeleitet. Die Ergebnisse werden mit theoretischen Modellrechnungen verglichen. Kapitel 5
beschreibt die Methode und Ergebnisse der Analyse von <pT> als Funktion von Nch.
Die Ergebnisse sind in Kapitel 6 zusammengefasst. Die Transversalimpulsverteilung von geladenen
Teilchen in pp-Kollisionen wird durch theoretische und phänomenologische Modelle
nur unzureichend beschrieben und Messungen stellen eine unverzichtbare Referenz für die
Interpretation der Ergebnisse in p–Pb- und Pb–Pb-Kollisionen dar. Das Verhältnis RpPb deutet
darauf hin, dass nukleare Effekte die Teilchenproduktion in p–Pb-Kollisionen bei hohem pT nur
wenig beeinflussen. In Pb–Pb-Kollisionen ist die Teilchenproduktion bei hohen pT deutlich unterdrückt,
im Einklang mit theoretischen Vorhersagen, die den Energieverlust von Partonen im
QGP modellieren. Schlussfolgerungen über den nuklearen Anfangszustand, den Mechanismus
des Energieverlusts und die Eigenschaften des QGP erfordern den Vergleich von theoretischen
Modellen auch mit Messungen anderer Observablen.
Ein Ausblick auf zukünftige Möglichkeiten der Analyse wird in Kapitel 7 gegeben. Es wird eine
verbesserte Genauigkeit der bisherigen Ergebnisse sowie Erweiterung der Messungen zu höheren
pT angestrebt. Dazu sind kleine Unsicherheiten und eine größere Datenmenge notwendig.
Vor allem durch Optimierung von Detektorkalibrierung, Spurrekonstruktion, Spurauswahl
und Simulationen könnten die systematischen Unsicherheiten deutlich verringert werden. Bisher
wurden nicht alle vorhandenen Daten analysiert, insbesondere die 2011 aufgezeichneten
Pb–Pb-Kollisionen sowie die mit besonderen Triggern aufgenommen pp- und p–Pb-Kollisionen
ermöglichen höhere Statistik. Nach dem Ende der Betriebspause des LHC Anfang 2015 werden
Kollisionen mit nochmals deutlich höherer Schwerpunktsenergie folgen. Zunächst sind
pp-, später auch Pb–Pb- und p–Pb-Kollisionen vorgesehen. Die Messungen von pT-Spektren
bei diesen Energien erlauben eine zusätzliche Eingrenzung von theoretischen Modellen. | German |