Die Anzahl benzin- und dieselgetriebener Fahrzeuge nimmt weltweit stetig zu, wohingegen die Verfügbarkeit fossiler Energieträger stetig abnimmt. Die verstärkte Entwicklung und Einführung von Elektrofahrzeugen wird diesen Trend in den kommenden 10 Jahren sicherlich nicht aufhalten können. Grund hierfür ist die noch stark begrenzte Reichweite reiner Elektrofahrzeuge sowie der unvollständige Ausbau von Ladestationen insbesondere in ländlichen Regionen. M. Weiss et. al. zeigt in einer Untersuchung, beauftragt durch die Europäische Union, dass obwohl die Schadstoffgrenzen für Personenkraftwagen (Pkw) kontinuierlich reduziert werden, Pkw immer noch die Hauptverursacher von Stickstoffoxiden und Kohlenmonoxid sind {JRC13,JRC13a}, die sich für den Klimawandel und die Erderwärmung verantwortlich zeichnen. Im Jahre 2008 verursachten Pkw 41% der Emission von Stickstoffoxiden (NO_x) und 24% der Emission von Kohlenmonoxid (CO) weltweit {EEA10}. Durch die Abgase von unzähligen Fahrzeugen wurden im Jahr 2009 die Grenzwerte für die Luftqualität insbesondere im städtischen Raum um 16% für Stickstoffdioxid (NO_2) und um 26% für Ruß-Partikel (PM_{10}) überschritten {EEA09}. Des Weiteren bewiesen P. Pelkmans und P. Debal in 2006, dass manche Modelle von Dieselfahrzeugen mit EURO 6-Zertifizierung die Emissionsgrenzen von EURO 2-4 unter realen Fahrbedingungen übersteigen {Pel06}.
Um der hier geschilderten Entwicklung und den negativen Auswirkungen der Benzin- und Dieselfahrzeuge auf unsere Umwelt entgegenzuwirken, verabschiedete die Europäische Union im Jahr 2009 einen Beschluss, den etablierten Testzyklus für Pkw, den sogenannten Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ), durch einen realistischeren Fahrzyklus zu ersetzen, der das Fahrverhalten besser widerspiegelt, den sogenannten "Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure" (WLTP).
Die strengeren Emissionsrichtlinien, die steigenden Kosten für fossile Treibstoffe und der Kundenwunsch nach sportlichem Fahrverhalten stellen die Automobilindustrie vor große Herausforderungen. Neben der Reduktion des Verbrauches und der damit einhergehenden Reduktion des CO_2-Ausstoßes ist heute eine Vielzahl weiterer Kriterien für die Motorapplikation relevant. Hierzu zählen die Laufruhe des Motors, die thermische Belastung empfindlicher Bauteile und die Emission besonderer chemischer Verbindungen. Um den vielen Kriterien gerecht zu werden, werden moderne Verbrennungsmotoren mit einer Vielzahl von Aktuatoren und Sensoren ausgerüstet. Die Konsequenz dessen ist, dass die Applikation des Motors, also die Bestimmung der Parameter aller Aktuatoren in allen Operationspunkten, immer längere Prüfstandszeiten benötigt. Dies kostet die Automobilindustrie sowohl Geld, als auch wertvolle Zeit, bis ein neues Modell Marktreife erlangt.
In dieser Arbeit wird ein neuer, ganzheitlicher mathematischer Ansatz für die Optimierung von Motorenkennfeldern vorgestellt und diskutiert. Dieser neue Ansatz umfasst Module für die Datenerfassung, -analyse und -optimierung.
Entgegen der häufigen Verwendung der stationären Messmethodik verwendet dieser Ansatz eine quasi-stationäre Messmethodik. Im Unterschied zur stationären Messmethodik wird bei der quasi-stationären Messung auf ein Einschwingen des Systems vor der Datenaufnahme verzichtet. Bei der quasi-stationären Messmethodik wird die kontinuierliche Aufnahme von Messdaten im Motorapplikationsprozess durch eine eigenständige Verfeinerung des Datenraumes unterstützt. Das heißt, der dieser Arbeit zugrunde liegende Algorithmus entscheidet eigenständig, welche Bereiche des Datenraumes genauer untersucht werden sollen.
In dieser Arbeit werden zwei unterschiedliche Kriterien für die Datenraumverfeinerung eingeführt: die Verfeinerung aufgrund unerwarteter Abweichungen von einem lokalen Modell und die Verbesserung der stationären Lösung. Das lokale Modell ist gegeben durch eine Polynomfunktion zweiten Grades. Die Parameter dieser Funktion werden mittels Fit an Datenpunkten der unmittelbaren Umgebung bestimmt. Die Datenpunkte in unmittelbarer Umgebung werden durch eine Voronoi-Zerlegung des Raumes ermittelt. Die Verfeinerung aufgrund des zweiten Kriteriums wird ausgelöst, wenn neue Datenpunkte die bisher bestimmte stationäre Lösung im Motorenkennfeld verbessern.
Aufgrund der größeren Anzahl der Datenpunkte innerhalb der quasi-stationären Messmethodik gegenüber der stationären Vermessung werden innerhalb dieser Arbeit zwei neuartige Filtermethoden entwickelt. Dabei handelt es sich um einen zeitlichen und einen räumlichen Filtermechanismus, welche die Daten deutlich komprimieren, jedoch die Information weitestgehend erhalten.
Als Vorbereitung auf die Kennfeldoptimierung werden in dieser Arbeit die Zielfunktion sowie alle Nebenbedingungen der ganzzahligen Optimierung formuliert. Die Zielfunktion folgt der Minimierung des spezifischen Verbrauchs. Durch die Nebenbedingungen ist es möglich, ebenfalls die Schadstoffgrenzen ausgewählter chemischer Verbindungen gemäß der Regulierung der Europäischen Union einzuhalten. Zusätzlich werden Datenpunkte, welche harte Grenzwerte überschreiten, von der ganzzahligen Optimierung ausgeschlossen. Des Weiteren werden sich stark ändernde Aktuatorstellungen innerhalb der Lösung mathematisch ausgeschlossen. Dies wird durch die Begrenzung der Steigungen innerhalb der Motorenkennfelder einzelner Aktuatoren erreicht. Dadurch kann ein Motorkennfeld erzeugt werden, das das transiente Verhalten des Motors komplett widerspiegelt.
Die aufgestellten neuen Methoden werden innerhalb dieser Arbeit vollständig validiert, sodass ihre Funktionsweise nachgewiesen wird. Hierfür werden explizite Annahmen für die Funktionsweise der Funktion aufgestellt und verifiziert.
Für einen Vergleich eigener Methoden mit etablierten Techniken wird in dieser Arbeit eine Zusammenfassung des Standes der Technik vorangestellt. Zusätzlich werden einzelne Methoden sowie der gesamte Ansatz dem heutigen Stand der Wissenschaft in Benchmark-Rechnungen gegenübergestellt. Diese Benchmarks zeigen, dass die essenzielle Bestimmung der Voronoi-Zellen durch die hier vorgestellte Methode die benötigte Qualität mit sich bringt, aber deutlich schneller als etablierte Methoden ist. Dies ist notwendig für die Sicherstellung der echtzeitfähigen Datenvalidierung.
Des Weiteren wurde das gesamte neue Konzept der Datenerfassung, also quasi-stationäre Messung, Datenvalidierung und Datenraumverfeinerung, einer typischen Rastermessung gegenübergestellt. Dieser Benchmark zeigt, dass das neue Konzept Lösungen gleicher oder höherer Qualität findet, jedoch deutlich weniger Zeit benötigt. Die Messzeit am Prüfstand gleicher Qualität konnte von 360 Stunden im Falle der Rastervermessung auf weniger als 40 Stunden reduziert werden.
Die Wirkweise und die Qualität der gesamten Motorenvermessung und Optimierung werden in dieser Arbeit mit Hilfe zweier Motorenmodelle getestet. Das erste Motormodell basiert auf einer Simulation eines Benzinmotors mit variablen Ventilsteuerzeiten und Saugrohreinspritzung. Dieses empirische Modell wird ebenfalls im Zuge dieser Arbeit entwickelt - primär als Datenquelle für die Entwicklung des Hauptprogramms. Das zweite Modell wird durch eine Kooperation mit der Firma AVL GmbH in das Gesamtsystem integriert. Hierbei handelt es sich um ein validiertes Motorenmodell eines Dieselmotors mit Turbolader, einer Voreinspritzung und variabler Ladergeometrie. Diese Motorenmodelle werden in gleicher Weise wie ein Motorenprüfstand verwendet. Das setzt voraus, dass das synthetische Signal um einen statistischen und systematischen Fehler erweitert wird.
Anhand dieser Motorenmodelle wird eine komplette Optimierung beider Systeme durchgeführt und diskutiert. Diese Arbeit zeigt, dass der neue Ansatz die gewünschten Ergebnisse erzielt. Beide Modelle können bezüglich spezifischen Verbrauchs optimiert werden. Die Nebenbedingungen des Optimierproblems werden dabei erfüllt: also die Einhaltung aller harten Grenzen sowie der maximalen Emissionswerte der EU und die Wahrung aller maximalen Gradienten im Lösungsfeld. Diese Optimierungen werden auf Basis zweier Testzyklen durchgeführt: dem NEFZ und dem neu eingeführten WLTP.
Diese Arbeit zeigt, dass die Testzyklen einen sehr großen Einfluss auf die Lösung der Kennfeldoptimierung haben. In Folge dessen empfiehlt es sich, die Testzyklen stärker realistischen Fahrsituationen anzupassen. Hauptaussage dieser Arbeit ist, dass das Potenzial der Optimierung moderner Verbrennungsmotoren noch lange nicht ausgeschöpft ist. Insbesondere die Behandlung mehrerer Kriterien für die Optimierung zeigt auf, dass niedrigere Emissions- und geringere Verbrauchswerte möglich sind. Im Besonderen die Bestimmung der transienten, also fahrbaren Kennfelder, anstatt stationärer reduziert den Applikationsbedarf im gesamten Fahrzeugentwicklungsprozess und liefert verlässlichere Kennfelddaten. | German |