Die stetig wachsende Menge und Komplexität digitaler Daten erfordern neue Wege zur Erschließung von Informationen durch den Menschen. Verschiedene Forschungsrichtungen widmen sich dem menschlichen Zugang zu den wachsenden Mengen an Daten. Während etwa die Forschung im Bereich der Informationsvisualisierung immer wieder neue und effiziente Methoden zur explorativen graphischen Informationserschließung entwickelt, werden diese oft auf Grund der Komplexität von vergleichsweise wenigen, speziellen Benutzern angewandt. Komplementär dazu steht im Fokus der adaptiven Systeme der Mensch mit seinen Fähigkeiten, Kenntnissen und Präferenzen. Dabei werden Informationen und Darstellungsarten an die Bedürfnisse und Fähigkeiten der jeweiligen Benutzer angepasst, um so möglichst heterogene Nutzer zu unterstützen. Das neue Forschungsgebiet der adaptiven Visualisierungen vereinigt Methoden aus beiden Disziplinen, um die jeweiligen Vorteile zu nutzen. Dabei zielen adaptive Visualisierungen nicht nur darauf ab, die Effektivität und Effizienz zu steigern, sondern auch die Benutzerakzeptanz und das Benutzungserlebnis. Obwohl die Evaluationsergebnisse der entwickelten Systeme sehr vielversprechend sind und gesteigerte Effizienz und Akzeptanz aufzeigen, werden wichtige Aspekte der Informationsvisualisierung nicht im Adaptionsprozess berücksichtigt. So adaptieren existierende Systeme entweder basierend auf den Datencharakteristika oder den Benutzereigenschaften. Ein Ansatz, der beide Einflussfaktoren berücksichtigt, fehlt gänzlich. Des Weiteren werden entweder Visualisierungsarten durch andere im Adaptionsprozess ersetzt oder bestimmte Variablen einer Visualisierungsart angepasst. Der Transformationsprozess, von Daten hin zu visuellen Repräsentationen, der sehr viele Möglichkeiten zur Anpassung anbieten würde, wird in heutigen Systemen nicht ausreichend berücksichtigt. Benutzeradaptive Visualisierungen müssen oftmals von Experten aufwändig trainiert werden, damit ein Adaptionseffekt entsteht. Die hier genannten Punkte sind lediglich Beispiele, um aufzuzeigen, dass ein methodisches Modell für die Adaption von Informationsvisualisierung fehlt. Heutige Ansätze haben einen mehr experimentellen Charakter, der nicht zu einer ganzheitlichen Lösung führt.
Die vorliegende Dissertationsschrift stellt ein modellbasiertes, methodisches Konzept zur adaptiven Visualisierung vor, das die Vorteile der adaptiven Systeme und die der Informationsvisualisierung vereint. Im Gegensatz zu existierenden Ansätzen, werden dabei insbesondere die Adaptionspotentiale der Informationsvisualisierung untersucht und auf das Referenzmodel übertragen. Dazu nutzt das hier vorgestellte Modell nicht nur das bereits existierende Referenzmodell der Informationsvisualisierung als Grundlage zur Identifikation von Adaptionsvariablen. Es werden vielmehr Modelle aber auch Studienergebnisse aus dem Bereich der visuellen Wahrnehmung und menschlicher Informationsverarbeitung herangezogen, um das Referenzmodel für den Einsatz in adaptiven Visualisierungen zu erweitern und zu optimieren. Um dem Charakter der Informationsvisualisierung gerecht zu werden, berücksichtigt das Modell im Adaptionsprozess sowohl die Charakteristika der Benutzer als auch die der Daten. Dabei werden Benutzercharakteristika implizit und nur anhand der Benutzerinteraktionen mit der Visualisierung ermittelt. Die Arbeit untersucht in diesem Kontext diverse Methoden und deren Effekte auf die Systemadaption, die dann für die Adaption von Visualisierungen entsprechend angepasst werden. Das in dieser Arbeit vorgestellte Benutzermodell kombiniert das Benutzungsverhalten mit Daten und Visualisierungen, um die Effizienz, Effektivität und Benutzerakzeptanz von adaptiven Visualisierungen zu steigern. Des Weiteren wird über die semantische Konzeptstruktur der Daten eine domänenübergreifende Benutzermodellierung erzielt. Ein integrierter Ansatz zur kanonischen Benutzermodellierung, der das durchschnittliche Benutzungsverhalten aller Benutzer mit der Visualisierung modelliert, macht das Antrainieren des Systems überflüssig. Mit Hilfe des kanonischen Benutzermodells lernt das System sich dem durchschnittlichen Benutzer anzupassen. Mit jeder Benutzung durch reale Benutzer wird die visuelle Adaption des Systems verbessert. Um individuelle Benutzer und deren spezielle An-forderungen zu unterstützen, werden Ähnlichkeits- und Unterscheidungsmessungen eingeführt. Wenn sich Benutzer individuell angemeldet haben, wird deren Verhalten durchgehend mit dem Benutzungsverhalten anderer Benutzer verglichen. Werden dann etwa ähnliche Verhaltensmuster festgestellt, können Lücken des Benutzermodels durch das Model eines ähnlichen Nutzers gefüllt werden. Wird dagegen festgestellt, dass das Verhalten eines Benutzer vom allgemeinen Durchschnittsverhalten stark divergiert, werden die Adaptionseffekte basierend auf das kanonische Model reduziert und jene Effekte verstärkt, die durch die individuellen Interaktionen des Benutzers selbst modelliert wurden. Das hier vorgestellte Visualisierungsadaptionsmodell integriert eine Reihe von verschiedenen Visualisierungslayouts. Diese können bei Bedarf zu einem so genannten Visualisierungscockpit zusammengestellt werden und so verschiedene Perspektiven auf dieselben Daten oder auf unterschiedliche Daten anbieten. Die visualisierten Daten auf dem Bildschirm können dabei von unterschiedlichen Quellen stammen und somit das Vergleichen von Daten auf visueller Ebene ermöglichen. Das Zusammenstellen unterschiedlicher Visualisierungslayouts zu einer Benutzerschnittstelle kann vom Benutzer aber auch automatisch vom System durchgeführt werden.
Das in dieser Arbeit dargestellte konzeptionelle Modell wurde implementiert, um die Umsetzbarkeit darzulegen. Die Umsetzbarkeit der vorgestellten Modelle und Methoden wurde mit dem SemaVis System nachgewiesen. SemaVis ist ein adaptives Visualisierungssystem, das in verschiedenen Anwendungsszenarien eingesetzt werden kann. In dieser Arbeit werden drei ausgewählte Anwendungsszenarien vorgestellt, um neben der Umsetzbarkeit auch das adaptive Verhalten des SemaVis Systems aufzuzeigen. Um die Vorteile des adaptiven SemaVis und somit des Modells zu belegen und Defizite zu identifizieren, wurde eine umfangreiche Benutzerstudie mit 53 Probanden unter Laborbedingungen durchgeführt. Dabei wurden vier Konditionen gegeneinander untersucht. Die Konditionen basierten auf das hier vorgestellt Referenzmodell der visuellen Adaption und einer textuellen Darstellung als Baseline. Das Ziel war es, die Adaptionseffekte der definierten visuellen Variablen zu untersuchen.
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