Molekulardynamische Simulationen leisten ein wichtigen Beitrag zum Studium der Weichen Materie, da sie Mechanismen auf mikroskopischer Ebene illustrieren kön- nen, die experimentell kaum zugänglich wären. Leider finden viele charakteristische Phänomene der Weichen Materie auf Längen- und Zeitskalen statt, die trotz der kon- tinuierlichen Weiterentwicklungen der Computertechnologie und Simulationsalgo- rithmen für atomistische Simulationen schwer erreichbar bleiben. Mit sogenannten vergröberten Modellen, coarse grained (CG) Modellen, bei denen mehrere Atome zu einem Superatom (CG bead) zusammengefasst werden, können ebendiese Längen- und Zeitskalen erreicht werden. Die Eigenschaften bzw. die Qualität dieser CG Mod- elle ist abhängig von der Beschreibung der Wechselwirkung zwischen den CG beads, wobei Letztere die chemische Natur der zugrundeliegenden atomistischen Details widerspiegeln sollten. In den vergangen Jahren wurden mehrere Methoden entwick- elt, um die CG Wechselwirkungen zwischen einzelnen CG beads zu beschreiben, dazu zählt auch das sogenannte systematische coarse graining. Hierbei werden Informa- tion von der atomistischen, also chemisch detaillierteren, Ebene für die Entwicklung dieser CG Modelle herangezogen. Die Qualität dieser CG Modelle wird häufig daran gemessen, inwiefern diese Modelle, die bei einer bestimmten Temperatur und Druck entwickelt wurden, andere physikalische Eigenschaften bei gleichen Bedingungen (representability) oder anderen Bedingungen (transferability) vorhersagen können. Diese Arbeit fasst den derzeitigen Wissensstand auf dem Gebiet des systematischen coarse graining Methoden zusammen und führt einen neuartigen Ansatz, die soge- nannte conditional reversible work (CRW) Methode, zur Entwicklung von CG Wech- selwirkungspotentialen ein. CRW basiert auf der Berechnung der freien Wechsel- wirkungsenergie zwischen Atomgruppen, die später die CG beads darstellen, unter der Voraussetzung, dass sie während der Berechnung in dem Molekül eingebettet sind. Im Gegensatz zu anderen CG Methoden, sind die CRW Wechselwirkungspo- tentiale frei von sogenannten multibody contributions und besitzen eine eindeutige physikalische Bedeutung. Prinzipiell können diese CG Wechselwirkungspotentiale auf mehreren Wegen berechnet werden. In dieser Arbeit werden zwei dieser Wege diskutiert: Der erste basiert auf der Berechnung von eines thermodynamischen Kreisprozesses und der zweite basiert auf der thermodynamischen Störungstheorie. In dieser Arbeit werden representability und transferability der CRW CG Modelle diskutiert. Insbesondere der Vergleich eines CRW Modells für Toluol mit einem Modell, welches auf mit der sogenannten “Iterative Boltzmann Inversion” (IBI) Methode entwickelt wurde, zeigt, dass die CRW Wechselwirkungspotentiale eine be- merkenswerte transferability besitzen. Diese Ergebnisse werden weiterhin durch die Studie eines CRW CG Modells für Hexan unterstützt und durch einen Vergleich mit dem atomistischen Modell, auf dem das CG Modell basiert. Des Weiteren wird in dieser Arbeit die chemische transferability der CRW CG Modelle analysiert. Dies er- möglicht, dass die CG CRW Wechselwirkungspotentials für kleine Moleküle in einer Art Baukastensystem für größere Moleküle verwendet werden können. Im Speziellen wird die chemische transferability der CRW Wechselwirkungspotential für Hexan an- hand von längeren, linearen Alkane (bis zu Dodekan) getestet. Hierbei zeigen die CG Berechnungen gute Übereinstimmungen mit den atomistischen Berechnungen. Des Weiteren wird in dieser Arbeit CRW Modelle für Mischungen anhand zweier Be- spiele diskutiert: Mischungen von n-Alkanen und die Solvatisierung von Additiven in Polymeren. Auch hier zeigen sich, sogar für empfindliche Größen, wie z.B. die freie Solvatisierungsenergie, gute Übereinstimmungen von CG und atomistischem Modell für einen weiten Temperaturbereich. Um die Grenzen der Anwendbarkeit des CRW Ansatzes zu verstehen, wurde die Anwendbarkeit dieser Methode für Systeme un- tersucht, die von multibody Wechselwirkungen dominiert werden. Genauer wurden Flüssigkeiten steigender Polarität durch eine einzige CG bead dargestellt. Es zeigte sich, dass die Modelle die Eigenschaften des Systems nicht mehr beschreiben kön- nen, sobald richtungsabhängige Wechselwirkungen durch die Vergröberung verloren gehen. Allerdings ist es prinzipiell möglich diesen Fehler zu beheben, indem man eine weniger vergröberte Darstellung wählt (also mehr CG beads zur Beschreibung eines Moleküls verwendet), da dies die Richtungsabhängigkeit der Wechselwirkun- gen teilweise erhalten kann.
Diese Arbeit belegt die Qualität der CRW Methode zur Entwicklung von Wechsel- wirkungspotentialen für Systeme Weicher Materie. Besonders hervorzuheben ist, dass es sich bei den entwickelten Potentialen um Paarpotentiale handelt, die frei von indirekten Beiträgen sind. Deshalb ist diese Methode unkompliziert zur Entwick- lung von CG Modellen für Systeme anwendbar, in denen die paarweise Additivität der Wechselwirkungen wie in van-der-Waals-Systeme angenommen werden kann.Systeme mit erheblichen multibody Wechselwirkungen erfordern mehr Sorgfalt bei der Umsetzung. Da die CRW Potentiale eine bedingte freie Energie repräsentieren, wäre es möglich sich eine Anwendung dieser Methoden zur Entwicklung von Mod- ellen für Systeme vorzustellen, in denen diese Wechselwirkungen wichtig sind, wie hydrophobe Wechselwirkungen zwischen Aminosäuren und Wasser. | German |