Die Nukleare Astrophysik hat zum Ziel die fundamentale Frage nach dem Ursprung der Elemente in
unserem Universum zu klären und dabei auch die Rolle von Kernreaktionen in der Entwicklung von
Sternen und in Sternexplosionen zu verdeutlichen. Aufgrund der engen Verknüpfung von Astrophysik und
Kernphysik in der Nuklearen Astrophysik kann diese als ein interdisziplinäres Feld angesehen werden.
In dieser Doktorarbeit beschäftigen wir uns mit dem r-Prozess, von dem man annimmt, dass er etwa
die Hälfte aller Elemente mit Massenzahl A>70 erzeugt. Es sind verschiedenste astrophysikalische
und kernphysikalische Größen nötig um diesen Prozess erfolgreich simulieren zu können. Zwei aus
kernphysikalischer Sicht sehr wichtige Größen sind dabei Wirkungsquerschnitte für Neutroneneinfang und
induzierte Spaltprozesse. Die meisten der im r-Prozess relevanten Isotope sind sehr neutronenreich und
konnten bisher experimentell noch nicht hergestellt werden. Aus diesem Grund muss man auf theoretische
Vorhersagen zurückgreifen um besagte Wirkungsquerschnitte zu beschreiben. Die Standardmethode zur
Berechnung von Wirkungsquerschnitten für den r-Prozess ist der Hauser-Feshbach-Formalismus.
Dieses statistische Modell benötigt Stärkefunktionen zur Beschreibung der Photonenübergänge in
den Wirkungsquerschnitten. Im Allgemeinen geht man dabei davon aus, dass E1 und M1 Überänge
dominieren. Die Stärkefunktionen müssen in großer Anzahl für jeden relevanten Kern berechenbar sein,
weswegen man dabei in der Regel auf die Beschreibung dieser Funktionen durch Lorentzfunktionen,
die an die Dipol-Riesenresonanz angepasst sind, zurückgreift. Diese Beschreibung erweist sich als sehr
erfolgreich bei stabilen Kernen. Allerdings wurde in neutronenreichen Kernen zusätzliche Stärke in
Photonenübergängen weit unterhalb der Riesenresonanz gemessen, die nicht durch eine Lorentzfunktionen
beschrieben werden kann. In dieser Arbeit werden wir den Einfluss solcher niederenergetischer Stärke auf
die Strahlungsüberänge in Neutronen-Einfangsreaktionen, die im r-Prozess eine Rolle spielen, untersuchen.
Das Hauser-Feshbach Modell beschreibt auch Strahlungsüberänge zwischen angeregten Zuständen, so
dass die Stärkefunktion für dieser Überänge auch für angeregte Zustände bekannt sein muss. Hierbei
nutzt man meist die gewagte Hypothese, dass die Stärkefunktionen für die Photonenübergänge aller
angeregten Zustände durch die Stärkefunktion des Grundzustandes approximiert werden kann. Diese
Approximation nennt man Brinks Hypothese. Ihre ursprüngliche Formulierung betraf ausschließlich
kollektive Riesenresonanzen und ihre Gültigkeit bezüglich dieser Resonanzen wurde experimentell
bestätigt. Es ist jedoch eine offene Frage, ob diese Hypothese auch auf die vorhergehend diskutierte
niederenergetische Stärke anwendbar ist.
In dieser Arbeit nutzen wir zwei mikroskopische Kernstrukturmodelle, um die Stärke-Funktion für
bestimmte Kerne zu berechnen. Für die Beschreibung der elektrischen Dipolüber¨gange verwenden wir
die “relativistic-time-blocking-approximation” (RQTBA) und für die Beschreibung der magnetischen
Dipolüber¨gange verwenden wir das Schalenmodell. Mit Hilfe des Hauser-Feshbach-Modells haben wir
Wirkungsquerschnitte für Neutroneneinfänge mit Hilfe des RQTBA Modells für verschiedene Zinn
und Nickel Isotope berechnet. Unsere Resultate zeigen, dass besagte niederenergetische Stärke einen
Einfluss auf den Wirkungsquerschnitt hat, der jedoch empfindlich von dem Zusammenspiel zwischen der
Neutronenschwelle und der Zustandsdichte abhängt. Die Verwendung des RQTBA-Modells ergibt im
Allgemeinen geringere Wirkungsquerschnitte im Vergleich zu den Wirkungsquerschnitten, die mit Hilfe
der Lorentzfunktion berechnet wurden.
In einem zweiten Ansatz haben wir die magnetische Dipol Stärke-Funktion von Eisen-Isotopen mit
Hilfe des Schalenmodells berechnet. Das Schalenmodell ermöglicht es uns, die Stärke-Funktionen
von angeregten Zustände zu beschreiben, so dass wir Brinks Hypothese bezüglich der M1 Übergänge
untersuchen können. Unsere Resultate bestätigen die Gültigkeit dieser Hypothese in Bezug auf die kollektive spin-flip Riesenresonanz. Jedoch versagt die Hypothese bezüglich der niederenergetischen
Stärke, insbesondere bezüglich der “scissors mode”. Unsere Resultate zeigen deutliche Unterschiede zu
Berechnungen in denen weit verbreitete Parametrisierung der M1 Stärke verwendet wurden. Daraus
folgern wir, dass eine verbesserte Beschreibung der M1 Übergänge notwendig ist.
Der r-Prozess kann auch die Region auf der Nuklidkarte erreichen, in der Spaltung auftreten kann. Aus
diesem Grund müssen verschiedenste Spaltungsprozesse in r-Prozess Simulationen berücksichtigt werden.
Die Spaltbarriere bildet hierbei eine fundamentale Größe bei der Beschreibung von Spaltprozessen.
Wir haben diese Spaltbarrieren für gerade-gerade Kerne im Rahmen des Skyrme-Hartree-Fock-BCS
Modells berechnet. Dabei wurde ein besonderes Augenmerk auf den Einfluss des verwendeten Skyrme
Funktionals auf die Barriere und auf reflektionsasymmetrische Kernformen gelegt. Die Resultate zeigen
eine starke Abhängigkeit der Spaltbarrieren von dem verwendeten Skyrme Funktional. Deshalb erwarten
wir deutliche Unterschiede zwischen den Raten der verschiedenen Spaltprozesse, wenn unterschiedliche
Skyrme Funktionale verwendet werden. Dies kann wiederum die r-Prozess Simulationen betreffen, denn
Spaltprozesse können den Fluss des r-Prozesses unterbrechen und synthetisierte Materie aus dem Bereich
der Aktiniden oder der superschweren Elemente in niedrigere Massenbereiche befördern. Aus diesem
Grund hängt die Formation von langlebigen superschweren Elementen im r-Prozess stark von der in der
theoretischen Beschreibung der Spaltbarrieren verwendeten Wechselwirkung ab. | German |