In meiner Dissertation beschäftige ich mich mit der fundamentalen ökonomischen Fragestellung, ob Regulierung, welche freie Märkte einschränkt, Wirtschaftskriminalität verhindern kann. Ich beleuchte verschiedene Aspekte dieser Fragestellung in vier miteinander verbundenen Artikeln. Diese nutzen verschiedene Theorien, die alle auf die grundlegende ökonomische Entscheidungstheorie zurückgehen. Sofern der erwartete Nutzen von regelkonformem Verhalten oder die erwarteten Kosten von Wirtschaftskriminalität steigen, neigen Entscheidungsträger dazu, eine stärkere Präferenz für regelkonformes Verhalten zu entwickeln. Im Gegensatz dazu bevorzugen Entscheidungsträger Wirtschaftskriminalität, wenn der erwartete Nutzen von Wirtschaftskriminalität oder die erwarteten Kosten von regelkonformem Verhalten steigen. Ich untersuche drei Einflussfaktoren, für welche ich Argumente vorbringe, dass sie das Gleichgewicht dieser vier Arten von Nutzen und Kosten beeinflussen können. Als zwei Enden des Spektrums möglicher Regulierung können Regulierungsänderungen und freie Marktkräfte jeweils die Erwartungen des Entscheidungsträgers ändern. Als dritter Einflussfaktor kann der Wirtschaftsprüfer als Überwachungsinstitution in Märkten mit Informationsasymmetrien Wirtschaftskriminalität verhindern, die solche Informationsasymmetrien ausnutzt. Da sowohl Regulierungsänderungen als auch freie Marktkräfte das Verhalten des Wirtschaftsprüfers prägen, sind Leistungen des Wirtschaftsprüfers ein indirekter, dritter Weg, durch den die ersten beiden Einflussfaktoren Verhalten beeinflussen.
Mein erster Artikel enthält ein Experiment über die Wahrnehmungen von Vorständen bezüglich Wirtschaftskriminalität und deren Bestrafung. Ich befrage 71 Vorstände börsennotierter deutscher Unternehmen zu ihren Erwartungen bezüglich der Wahrscheinlichkeit, dass Wirtschaftskriminalität entdeckt wird, und der Höhe der Strafe bei Entdeckung. Meine Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Vorstände aus bestehender Forschung entnommene tatsächliche Entdeckungswahrscheinlichkeiten überschätzen. Allerdings unterschätzen die Vorstände die Höhe von Strafen auf individueller und Unternehmensebene. Im anschließenden Experiment mit nur noch 28 Vorständen finde ich heraus, dass die Neigung der Vorstände zu Wirtschaftskriminalität dadurch gesenkt werden kann, dass sie über die tatsächlich drohenden Strafen auf Unternehmensebene aufgeklärt werden. Dieser Effekt verschwindet, wenn die Vorstände zusätzlich über die tatsächlich drohenden individuellen Strafen aufgeklärt werden. Zusammenfassend finde ich überraschend wirkungsvolle Marktkräfte, die allerdings ihre volle Wirkung aufgrund verzerrter Wahrnehmungen in der Praxis nicht entfalten.
Der zweite Artikel enthält eine tiefgründige qualitative Untersuchung der Einführung von Geldwäschepräventionssystemen in Industrieunternehmen. Ausgehend von Interviews mit acht internationalen Konzernen entwickele ich eine „Grounded Theory“ des Einführungsprozesses. Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass die Implementierung von klaren regulatorischen Strukturen und Anwendungshinweisen profitiert. Obwohl ich herausfinde, dass ähnliche Strukturen auch innerhalb von Branchennetzwerken ohne Regulierung entstehen können, gibt es klare Hinweise darauf, dass Regulierung wichtig für die Entstehung effektiver Systeme zur Verhinderung von Wirtschaftskriminalität ist.
Mein dritter Artikel basiert erneut auf einem Experiment. Es untersucht die Reaktionen von 128 Privatinvestoren auf ein Unternehmen mit einem Betrugsverdacht unter der Bedingung, dass eine interne Untersuchung sowie eine öffentliche Berichterstattung darüber sicher sind. Das Unternehmen kann sich für ein Glaubwürdigkeitssignal durch die Beauftragung von Forensic Services einer Big 4 für die interne Untersuchung entscheiden oder für eine interne Untersuchung durch die Interne Revision. Der Verdacht und die Untersuchung werden entweder durch das Unternehmen selbst oder von der Presse öffentlich berichtet. Ich finde heraus, dass sich die Wahrnehmung der Investoren von Unternehmen, die Forensic Services beauftragen, verbessert, wenn diese die Veröffentlichung selbst vornehmen und nicht die Presse zuvorkommen lassen. Dies ist nicht der Fall, wenn die Interne Revision die Untersuchung durchführt. Im Rahmen dieser Dissertation kann dies als Indiz dafür verstanden werden, dass der unregulierte Markt für Forensic Services unter den engen Annahmen einer sicheren Untersuchung und Berichterstattung einen positiven Beitrag zur Investorenwahrnehmung und möglicherweise, durch erhöhte Transparenz, zum öffentlichen Wohl beitragen kann.
Der vierte und letzte Artikel berichtet eine Archivstudie von zwei Skandalen im Rahmen von Nichtprüfungsleistungen von KPMG. Ich untersuche ob sich die negativen Signale dieser Skandale aufgrund von Reputationseffekten auf die nicht direkt betroffene Abschlussprüfungspraxis von KPMG auswirken. Sofern dies der Fall wäre, würde dies darauf hindeuten, dass Marktkräfte in nur einem Bereich der Tätigkeit von Organisationen in solchen Fällen stark genug sind, um Wirtschaftskriminalität in allen Tätigkeitsbereichen dieser Organisationen zu verhindern. Eine kurzfristige Eventstudie ergibt negative abnormale Renditen für den durchschnittlichen Prüfungsmandanten von KPMG. Allerdings zeigt die Analyse längerfristiger Effekte, dass KPMG im jeweiligen Jahr nach den Skandalen keine signifikanten Mandantenverluste oder geringere Mandantengewinne hinnehmen muss. Genauso wenig ändern sich die Prüfungshonorare. Jedoch gibt es Anzeichen darauf, dass die Prüfungsqualität nach dem zweiten Skandal sinkt. Insgesamt schlussfolgere ich aus den Ergebnissen, dass es einen kleinen Reputationseffekt über Tätigkeitsbereiche hinweg gibt, der keine substantiellen ökonomischen Konsequenzen für KPMG hat. | German |