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Nachfragebeeinflussung im Schienenpersonenverkehr in Störfallsituationen - Entwicklung einer Methodik zur Modellierung des Entscheidungsverhaltens von Reisenden

Wilke, Kim (2023)
Nachfragebeeinflussung im Schienenpersonenverkehr in Störfallsituationen - Entwicklung einer Methodik zur Modellierung des Entscheidungsverhaltens von Reisenden.
Technische Universität Darmstadt
doi: 10.26083/tuprints-00023110
Ph.D. Thesis, Primary publication, Publisher's Version

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Item Type: Ph.D. Thesis
Type of entry: Primary publication
Title: Nachfragebeeinflussung im Schienenpersonenverkehr in Störfallsituationen - Entwicklung einer Methodik zur Modellierung des Entscheidungsverhaltens von Reisenden
Language: German
Referees: Boltze, Prof. Dr. Manfred ; Linke, Prof. Dr. Hans-Joachim
Date: 2023
Place of Publication: Darmstadt
Series: Schriftenreihe der Institute für Verkehr
Series Volume: Heft V 51
Collation: 420 Seiten in verschiedenen Zählungen
Date of oral examination: 21 December 2022
DOI: 10.26083/tuprints-00023110
Abstract:

Kleinere und größere Unregelmäßigkeiten, wie bspw. technische Störungen und größere Störfallsituationen lassen sich im Betriebsablauf des Schienenpersonenverkehrs nicht immer vermeiden. Dies ist insbesondere auf die vorhandenen hohen Abhängigkeiten im Bahnbetrieb zurückzuführen, wodurch sich aus nur einer kleinen Störung einer Zugverbindung ein großes Störfallereignis ergeben kann, in welchem dann eine Vielzahl an Zugverbindungen und somit eine sehr große Anzahl an Reisenden negativ betroffen sind. Es sind entsprechende Maßnahmen erforderlich, welche die Zufriedenheit der Reisenden auch in solchen Situationen nicht gefährden und trotz der Unregelmäßigkeit einen effizienten Betrieb gewährleisten. Bestenfalls sind die Maßnahmen auf die Bedürfnisse der Reisenden abgestimmt, so dass gute Möglichkeiten zur Fortsetzung der Reise geschaffen werden. Neben den gängigen Maßnahmen rücken hierbei die nachfragebeeinflussenden Maßnahmen mehr und mehr in den Fokus. Im Rahmen der Innovationsallianz zwischen der Deutschen Bahn AG (DB AG) und der Technischen Universität Darmstadt wurde in der Arbeitsgruppe Connected Mobility die Implementierung einer Nachfragebeeinflussung, in Form einer sogenannten Reisendenstromlenkung, als ein zusätzliches Instrument zur optimierten Lenkung von Reisendenströmen untersucht. Ein wesentlicher Aspekt der Nachfragebeeinflussung ist die Kenntnis über die Akzeptanz von Handlungsempfehlungen bzw. die Kenntnis über das wahrscheinliche Verhalten der jeweiligen Reisenden in Abhängigkeit einer Vielzahl an gleichzeitig wirkenden Einflussfaktoren. Sofern das Verhalten der Reisenden abgeschätzt werden kann, können geeignete nachfragebeeinflussende Maßnahmen ausgewählt und die Reisenden im Falle einer Unregelmäßigkeit optimal auf das (ggf. noch) vorhandene Verkehrsangebot verteilt werden. Die gezielte Beeinflussung der Verkehrsnachfrage im Schienenpersonenverkehr erfordert jedoch ein geeignetes Modell zur Prognose des Entscheidungsverhaltens der Reisenden, welches die wirkenden Einflussfaktoren einschließt, ein sogenannten Entscheidungsverhaltensmodell. In der vorliegenden Dissertation wird eine Methodik zur Erzeugung eines solchen Entscheidungsverhaltensmodells von Reisenden im Bahnbetrieb entwickelt, vorgestellt und validiert. Hierzu werden im ersten Schritt die relevanten Einflussfaktoren auf die Akzeptanz von Handlungsempfehlungen auf Basis einer durchgeführten Fahrgastbefragung (N = 1961) von Reisenden im Nah- und Fernverkehr identifiziert. Es wird dabei aufgezeigt, dass neben der Veränderung der Reisezeit und der Anzahl an Umstiegen als externale Einflussfaktoren im Entscheidungsprozess der Reisenden auch eine Vielzahl an internalen Einflussfaktoren, bspw. die Nutzungshäufigkeit des Schienenpersonenverkehrs, das Alter und die Komfortanforderungen der Reisenden, bei der Auswahl einer Handlungsoption durch den Reisenden zu berücksichtigen sind. Mit Hilfe der in der Fahrgastbefragung erfassten Merkmale wurde weiterhin eine Einteilung der Reisenden in acht stereotypische Reisendengruppen mit ähnlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen vorgenommen, so dass die Reisendengruppe selbst als ein abgeleiteter internaler Einflussfaktor zur Prognose des Entscheidungsverhaltens berücksichtigt werden kann. Die Annahmewahrscheinlichkeit einer Handlungsempfehlung durch einen Reisenden wird mit Hilfe einer binär-logistischen Regressionsanalyse auf Basis des in den Fragebögen erfassten hypothetischen Verhaltens in zwei unterschiedlichen Szenarien (Zugausfall und Auslastungsproblem) bestimmt. Hierzu werden unterschiedliche Entscheidungsverhaltensmodelle entwickelt, wodurch die Auswirkungen bei der Variation der Einflussfaktoren inkl. dem Einbezug der Reisendengruppen auf die relevanten Kenngrößen zur Beurteilung der Klassifikationsgüte, Modellgüte, Ergebnisstabilität und Prognosegenauigkeit dargestellt werden können. Das final entwickelte Entscheidungsverhaltensmodell E5 (Zielmodell) zum Szenario 1 (Zugausfall) erzielt eine Steigerung der Klassifikationsgüte von 51,6 % auf 67,3 %. Werden lediglich die externalen Einflussfaktoren (die Veränderung der Reisezeit und die Anzahl an Umstiegen) in ein Entscheidungsverhaltensmodell eingeschlossen (Ausgangsmodell E1), so wird lediglich eine Klassifikationsgüte von 60,2 % erreicht. Bei Berücksichtigung der Reisendengruppen (Zielmodell R5) wurde hingegen eine Klassifikationsgüte von 68,1 % erzielt. Beide Entscheidungsverhaltensmodelle (E5 und R5) liegen im Bereich einer akzeptablen Modellgüte. Die Wirkungen von zusätzlichen Handlungsanreizen auf die Annahmequote einer Handlungsempfehlung, bspw. die temporäre Aufwertung des Reisetickets (Upgrade 1. Klasse) und die Ausstellung von Wertgutscheinen (bspw. kostenfreier Kaffee), werden ergänzend analysiert. Die durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass durch die Nutzung von zusätzlichen Handlungsanreizen die Lenkungswirkung nachfragebeeinflussender Maßnahmen gesteigert werden kann. Insbesondere jene Handlungsanreize, aus denen eine Steigerung des Reisekomforts resultiert, bspw. eine Sitzplatzgarantie oder die Weiterfahrt in der 1. Klasse, weisen die größten Verbesserungen in der Annahmequote auf. So konnte in Szenario 1 (Zugausfall) die Annahmequote von 56,9 % auf 66,1 % bei Ausweisung einer Sitzplatzgarantie gesteigert werden. In Szenario 2 (Auslastungsproblem) lässt sich bei diesem Handlungsanreiz eine Steigerung der Annahmequote von 26,7 % auf 36,8 % erreichen. Die größte Wirkung in Szenario 2 resultiert jedoch aufgrund einer rechtzeitigen Informationsbereitstellung, wodurch eine Annahmequote 46,6 % erzielt wird. Insgesamt wurden je Szenario 14 Entscheidungsverhaltensmodelle entwickelt, welche sich bzgl. der eingeschlossenen Modellierungsparameter unterscheiden, um die Auswirkungen bei einer Variation auf die untersuchten Kenngrößen darstellen zu können. Weiterhin wurden bei der Entwicklung der Modelle unterschiedliche Anwendungsfälle berücksichtigt, um spezifische Modelle (bspw. bezogen auf den Nahverkehr, den Fernverkehr, eine geringe Datenlage oder die Nutzung von Reisendengruppen) zu erhalten. Die Vorgehensweise zur Auswahl eines Entscheidungsverhaltensmodells auf Basis einer Entscheidungslogik wird vorgestellt. Zukünftig wird es möglich sein, mit einer solchen Entscheidungslogik das passende Entscheidungsverhaltensmodell systematisch auszuwählen, um letztlich die Wirkungen von Maßnahmen abschätzen zu können. Die Methodik wurde durch die Erzeugung und Analyse der Kenngrößen der Entscheidungsverhaltensmodelle validiert und ermöglicht zukünftig die Entwicklung von Umlegungsmodellen in Störfällen auf Grundlage externaler und internaler Einflussfaktoren. Um ein in der Praxis anwendbares Modell zu erhalten, sind die erzeugten Entscheidungsverhaltensmodelle durch die Nutzung von Daten einer realen Störfallsituation zu validieren und ggf. zu kalibrieren. Die aktuelle Datenlage auf der einen Seite und der hohe Aufwand zur Erfassung solcher Realdaten auf der anderen Seite lassen zum heutigen Stand eine Validierung und Kalibrierung der Entscheidungsverhaltensmodelle nicht zu. Es ist aber davon auszugehen, dass die fortschreitende Digitalisierung die technischen Möglichkeiten liefert, so dass die Ergebnisse dieser Arbeit die ersten Ansätze für eine zukünftige Umsetzung einer gezielten Nachfragebeeinflussung im Schienenpersonenverkehr bereithält.

Alternative Abstract:
Alternative AbstractLanguage

Minor and major irregularities, such as technical disruptions and major incidents, cannot always be avoided in the operation of rail passenger transport. This is due to in particular the high level of interdependencies in rail operation, which means that a minor disruption affecting a train connection can result in a major incident that negatively affects a large number of train connections and thus a very large number of passengers. Appropriate measures are required to ensure efficient operations despite the irregularity so that the irregularities do not jeopardize passenger satisfaction. Ultimately, the measures need to be aligned with the needs of the passengers so that good opportunities arise for the passengers to continue their journey. In addition to the usual measures, demand-influencing measures are increasingly coming into focus. As part of the innovation alliance between Deutsche Bahn AG (DB AG) and the Technische Universität Darmstadt, the Connected Mobility working group (AG Connected Mobility) investigated the implementation of influencing the demand (dynamic passenger guidance) as an additional instrument for the optimized guidance of passenger flows. An essential aspect of influencing demand is the knowledge about the acceptance of recommendations for action or the knowledge about the probable behavior of the respective passengers depending on a multitude of simultaneously acting influencing factors. Provided that the behavior of the passengers can be predicted, suitable demand-influencing measures can be selected, and in the case of an irregularity, the passengers can be optimally distributed among the available transport services. However, the targeted influence of transport demand in passenger rail transport requires a suitable model for forecasting the decision-making behavior of passengers, which includes the influencing factors that affect the decision-making process, a so-called decision-making behavior model. In this dissertation, a methodology for generating such a decision-making behavior model of rail passengers is developed, demonstrated, and validated. In the first step, the relevant factors influencing the acceptance of recommendations for action are identified based on a passenger survey (N = 1961) in local and long-distance rail transport. It shows that, in addition to the change in travel time and the number of transfers as external influencing factors in the decision-making process of passengers, many internal influencing factors, e.g., the frequency of use of passenger rail transport, the age and the comfort requirements of the passengers, must also be taken into account. Using the characteristics gathered in the passenger survey, passengers were further classified into eight stereotypical passenger groups with similar characteristics and behaviors, so that the passenger group itself can be considered as a derived internal influencing factor to forecast decision-making behavior. The probability of acceptance of a recommended option for action is determined using binary logistic regression analysis based on the hypothetical decision-making behavior in two different scenarios (train cancellation and capacity utilization problem) within the surveys. For this purpose, different decision-making behavior models are developed, whereby the effects of varying the influencing factors, including the inclusion of the traveler groups, on the relevant parameters for assessing the classification goodness of fit, goodness of fit, stability of results, and forecast accuracy can be shown. The final decision-making behavior model E5 (target model) for scenario 1 (train cancellation) achieves an increase in the classification goodness of fit from 51.6 % to 67.3 %. If a decision-making behavior model only includes the external influencing factors (the change in travel time and the number of transfers), it achieves classification goodness of fit of only 60.2 % (initial model E1). When considering the passenger groups (target model R5), on the other hand, a classification quality of 68.1 % was achieved. Both decision-making behavior models (E5 and R5) are within the range of acceptable goodness of fit. The effects of additional incentives for increasing acceptance of a recommendation, e.g., the temporary upgrading of the travel ticket (1st class upgrade) and the issuing of vouchers (e.g., free coffee), are analyzed in addition. The investigations show that the use of additional incentives for action can increase the guiding effect of demand-influencing measures. In particular, the incentives that promote travel comfort, e.g., a seat guarantee or onward travel in 1st class, show the highest improvements in the acceptance rate. In Scenario 1, the provision of a seat guarantee increases the acceptance rate from 56.9% to 66.1%. In scenario 2 (capacity utilization problem), this kind of incentive can increase the acceptance rate from 26.7 % to 36.8 %. However, the highest impact in Scenario 2 is due to the timely provision of information, which results in an acceptance rate of 46.6%. 14 decision-making behavior models were developed for each scenario, which differs in terms of the included modeling parameters to represent the effects of a variation on the parameters investigated. In addition, different use cases were considered in the development of the models (e.g., related to local and long-distance rail transport, limited data availability, or the use of passenger groups). Furthermore, based on a decision logic, the procedure for selecting a decision-making behavior model is presented. In the future, it will be possible to use such a decision logic to systematically select a suitable decision-making behavior model to estimate the effects of different measures. The methodology has been validated by generating and analyzing the characteristics of the decision-making behavior models and will enable the future development of reallocation models in incident situations based on external and internal influencing factors. To obtain a model that can be used in practice, the developed decision-making behavior models must be validated and, if necessary, calibrated using data from a real incident situation. The current low data availability and limited resources for gathering such real data do not allow validation and calibration of the decision-making behavior models at the moment. However, the advances in digitization could potentially provide technical possibilities, so this dissertation represents the first effort for the future implementation of a targeted influence on demand in passenger rail transport.

English
Status: Publisher's Version
URN: urn:nbn:de:tuda-tuprints-231109
Classification DDC: 600 Technology, medicine, applied sciences > 620 Engineering and machine engineering
Divisions: 13 Department of Civil and Environmental Engineering Sciences > Institutes of Transportation
13 Department of Civil and Environmental Engineering Sciences > Institutes of Transportation > Institute for Transport Planning and Traffic Engineering
Date Deposited: 25 Jan 2023 13:03
Last Modified: 01 Feb 2023 07:31
URI: https://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/id/eprint/23110
PPN: 504104756
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