Die sogenannte Insel der Inversion bei Atomkernen mit Z∼11 und N∼20 zeichnet sich durch eine Verkleinerung des Schalenabstands bei N=20 sowie durch Intruderkonfigurationen von höheren Orbitalen in der Wellenfunktion aus. Erste experimentelle Hinweise auf die Veränderung der Schalenstruktur im Vergleich zum einfachen Schalenmodell gab es bereits in den 1970er Jahren. Diese Arbeit untersucht die Fluor-Isotope 30F und 29F, die sich an der vorhergesagten unteren Grenze für die Kernladungszahl der Insel der Inversion befinden.
Das Experiment wurde am SAMURAI-Setup der Radioactive Ion Beam Factory (RIKEN Nishina Center, Tokio/Japan) durchgeführt. Die zu untersuchenden Atomkerne werden in quasi-freien Proton- und Neutron-Knockout-Reaktionen an dem 15cm langen MINOS LH2-Target bei ∼250 MeV/u produziert. Die Spuren der gestreuten leichten, geladenen Nukleonen werden in der MINOS TPC gemessen. Die schweren, geladenen Reaktionsfragmente werden hingegen mit dem SAMURAI Dipol-Magneten analysiert. Die Neutronendetektoren NeuLAND Demonstrator und NEBULA messen koinzident Neutronen unter Vorwärtsrichtung. Der DALI2-Detektor misst γ-Strahlung in der Target-Region.
Der NeuLAND Demonstrator ist ein Detektor am R³B-Experiment bei GSI/FAIR (Deutschland), wurde aber für eine zweijährige Experimentierkampagne am SAMURAI-Setup eingesetzt. Mit einem separaten Experiment, bei dem die 1-Neutronen-Nachweiseffizienz bei den Energien 110MeV und 250MeV bestimmt werden sollte, wurde der Detektor charakterisiert. Dazu wurde ein nahezu monoenergetischer Neutronenstrahl in der p(7Li,7Be)n Reaktion produziert. Die 1-Neutronen-Nachweiseffizienz wurde zu 31.0(13)% bei 110MeV und zu 27.4(10)% bei 250MeV (für ∆E>5MeV) bestimmt. Diese Ergebnisse stimmen mit Resultaten aus Simulationen überein.
Das SAMURAI-Setup ermöglicht die vollständige Spektroskopie neutronen-ungebundener Atomkerne. Erstmalig wird hier 30F analysiert, dafür wird die Reaktion 31Ne(p,2p)29F+n untersucht. Unter Anwendung der Invarianten-Masse-Methode wird die Relativenergie aus der Impulsmessung von Fragment und Neutron berechnet. Die Grundzustandsenergie liegt bei 583(85) keV bei einer Resonanzbreite von Γ=730(151)keV. Dieses Ergebnis deutet im Einteilchenlimit für die Breite einer Breit-Wigner-Resonanz auf einen deutlichen Beitrag des Valenzneutrons im 2p-Orbital hin. Diese Konfiguration entspricht einer typischen Signatur, wie sie bei Kernen in der Insel der Inversion zu finden ist.
Im Fall von 29F werden gebundene und neutronen-ungebundene Zustände analysiert. Diese angeregten Zustände werden bei der 30Ne(p,2p)29F* Reaktion erzeugt. Die Messung bestätigt einen bereits bekannten, gebundenen angeregten Zustand bei 1063(7)keV. Außerdem wurde ein neuer Zustand mit einer Übergangsenergie von 287keV identifiziert. Überhalb der Separationsschwelle zerfällt 29F in 27F+n+n, die Relativenergie wird wiederum für die drei Teilchen berechnet und analysiert. Dabei werden fünf weitere Zustände identifiziert. Die Korrelationsanalyse in Jacobi-Koordinaten zeigt, dass 29F* vorwiegend sequentiell über Resonanzen in 28F zerfällt. 28F wird auch separat in der Reaktion 29F(p,pn) untersucht. Die Drei-Körper-Resonanzen werden mit speziellen Breit-Wigner-Distributionen für den sequentiellen Zerfall analysiert.
Die Ergebnisse für 29F werden mit einer Schalenmodell-Rechnung, die die SDPF-M Wechselwirkung verwendet, verglichen, sowie mit der ab-initio Self-consistent Green’s Function Theorie, die die N2LO_sat+N3LO(lnl) Wechselwirkung benutzt. Die Schalenmodell-Rechnung zeigt bessere Übereinstimmungen, wobei beide Theorien das Spektrum der gebundenen Zustände nicht reproduzieren können. Es wird geschlussfolgert, dass die Verkleinerung des Schalenabstands bei N=20 auch für Z=9 fortbesteht und Intruderkonfigurationen für die Beschreibung der Zustände erforderlich sind. Die neutronenreichen Fluor-Isotope zeigen Charakteristika wie andere Kerne in der Insel der Inversion. | German |