Im Gehirn von Säugetieren werden Netzwerkstrukturen auf verschiedenen zeitlichen und räumlichen Skalen beobachtet. Während umfangreiches Wissen über das Aktionspotential auf dem Level der individuellen Zelle, ebenso wie über globale Netzwerke zwischen Hirnarealen, vorhanden ist, ist das intermediäre Level der lokalen funktionellen neuronalen Netzwerke innerhalb eines Hirnareals bisher weniger umfassend untersucht. Die Fortentwicklung von Multi-Elektroden-Ableitungen im Gehirn ermöglicht dabei die Analyse funktioneller Konnektivität unter simultan aufgenommenen Gruppen von Neuronen. Damit steigt der Bedarf nach Analysemethoden, um die Charakteristika der aufgenommenen
lokalen funktionellen Netzwerke zu untersuchen.
In diesem Kontext hatte die vorliegende Studie vornehmlich zwei Ziele: 1) die Erweiterung und Entwicklung von Analysemethoden und 2) die Anwendung dieser Methoden auf elektrophysiologische Daten, um zum Wissen im Bereich der lokalen funktionellen Konnektivität beizutragen.
Die Daten, die der vorliegenden Dissertation zugrunde liegen, stammen aus einem Zyklus von Studien zum visuellen Hemineglekt, einem Phänomen, das beispielsweise als Folge eines Schlaganfalls auftreten kann, und bei dem der Patient eine Hälfte seines Gesichtsfeldes nicht mehr wahrnimmt. Die Studie des Neglekts ist eng mit der Erforschung von Feedback-Signalen zwischen Arealen im visuellen System verknüpft: Elektrophysiologische Signale wurden vom primären visuellen Areal 18 in der anästhesierten Katze abgeleitet, während ein hierarchisch höheres Areal, der posteromediale suprasylvische Sulkus (pMS), thermal, das heißt durch Kühlen, deaktiviert wurde. Diese Deaktivierung schaltet die Feedback-Signale vom pMS nach Area 18 aus. Die Deaktivierung erfolgte sowohl unilateral – auf derselben (ipsilateral) und auf der gegenüberliegenden (kontralateral) Hemisphäre – als auch bilateral.
Die Untersuchung des pMS-Deaktivierungseffekts erfolgte auf verschiedenen zeitlichen und räumlichen Skalen: Auf dem Niveau einzelner Zellen wurden Feuerraten und Orientierungs- sowie Richtungspräferenzen für Multi- sowie für Single-Units betrachtet. Auf dem Level der Netzwerk-Konnektivität wurden verschiedene Ansätze erprobt, um unterschiedliche Aspekte des Deaktivierungseffekts zu extrahieren. Die Anwendung der Parallelen Faktorenanalyse (PARAFAC) erfolgte mit dem Ziel, den Effekt der pMS-Deaktivierung auf die Kreuzkorrelation zwischen Multi-Units in Area 18 über alle Aufnahmesitzungen zu scannen. PARAFAC bewies sich hierbei als geeigneter Ansatz, die auftretenden Deaktivierungseffekte sichtbar zu machen. Nach dem Wissen der Autorin ist dies die erste Anwendung von PARAFAC auf elektrophysiologische Spike-Signale.
Funktionelle Netzwerke wurden auf der Basis von Joint-Spike-Events unter Verwendung der Methode "NeuroXidence" berechnet. Zur Bestimmung effektiver Konnektivität wurde ein Ansatz basierend auf einem Generalisierten Linearen Modell (GLM) gewählt. Im Anschluss wurde die Netzwerk-Konnektivität mit einer Auswahl an graphentheoretischen Methoden untersucht. Nachdem Zufälligkeit (im Sinne von Erdös-Rényi-Graphen) ausgeschlossen werden konnte, wurde die Verbindungsdichte für kurze und lange Verbindungen sowie für Units mit ähnlicher und unterschiedlicher Orientierungspräferenz verglichen. Ganze Graphen wurden außerdem mit Hilfe eines auf der Hamming-Distanz basierenden Tests auf ihre Ähnlichkeit untersucht.
Effekte der pMS-Deaktivierung auf die lokale Netzwerkstruktur in Area 18 konnten auf allen räumlichen und zeitlichen Skalen, das heißt im LFP und den Feuerraten sowie in der millisekundengenauen Synchronität basierend auf NeuroXidence und der gerichteten Konnektivität basierend auf dem GLM, beobachtet werden. Die Ergebnisse sind dabei im Einklang mit früheren Erkenntnissen im Kontext der Studien zum visuellen Hemineglekt in der anästhesierten Katze: Ipsi- und bilaterale pMSDeaktivierung führten im Vergleich zur "warm"-Bedingung zu niedrigeren Aktivitäts- und Korrelationsniveaus, während kontralaterale Deaktivierung Raten und Korrelationen kaum veränderte. Allerdings zeigte sich eine hohe Variabilität der Deaktivierungseffekte.
Um ein mögliches Korrelat für diese Variabilität zu identifizieren, wurden die Daten in drei Untergruppen, basierend auf dem Niveau der Gamma-Aktivität im LFP vor der thermalen Deaktivierung, aufgeteilt. Die Gruppe mit der höchsten initialen Gamma-Power zeigte sich dabei als die dynamischste und wies die größten Veränderungen unter der Deaktivierung auf, sowohl für die Spikeraten, als auch für die korrelierte Spikeaktivität. Dies führte zu der Auffassung, dass das Vorhandensein niedriger oder mittlerer initialer Gamma-Aktivität ein Indikator dafür sein könnte, dass das globale Netzwerk bereits vor der pMS-Deaktivierung gestört war und aus diesem Grund im Vergleich zur "High Initial Gamma"-Gruppe nicht dasselbe Ausmaß der Deaktivierungseffekte zeigte.
Abschließend wird deshalb festgehalten, dass der Zustand des globalen Netzwerks im Gehirn einen maßgeblichen Einfluss auf die lokale Netzwerkstruktur in einzelnen Arealen hat und bei jeder Untersuchung von lokaler Konnektivität berücksichtigt werden sollte. | German |