Ziel dieser Doktorarbeit war es den Einfluß von oxidativem Stress zu verstehen, der durch das Zusammenspiel von ionisierender Strahlung, Sauerstoff und neurotoxischem Amyloid beta (Aβ) Peptid der Alzheimer Demenz (AD) entstanden ist. Obwohl AD, die häufigste Form von Demenz, seit mehr als hundert Jahren bekannt ist, sind seine Mechanismen noch nicht verstanden und es gibt zur Zeit keine Heilung.
Hohe Dosen ionisierender Strahlung führen zu Lern- und Gedächtnisstörungen, die auch für AD charakteristisch sind. Die kumulativen Dosen von ionisierender Strahlung, die in medizinischen Bildgebungsverfahren wie Computertomographie und zahnärztlichen Untersuchungen verwendet werden, stellen eine potentielle Gefahr dar, insbesondere für Kinder, deren Gehirn nicht vollständig entwickelt ist. Obwohl einzelne Dosen von Strahlung, die für diagnostische Zwecke oder Behandlung verwendet werden, relativ niedrig sind, können kleine Schäden auf molekularer und zellulärer Ebene bei wiederholter Exposition akkumulieren und zu verzögerten Langzeitdefekten führen.
So war das wichtigste Ziel dieser Arbeit zu zeigen, ob es Wechselwirkungen von Strahlung und altersbedingten Erkrankungen durch die Effekte von Sauerstoff, reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) und Aβ Peptid gibt, die an AD beteiligt sind.
Aβ Peptid Monomere und kleine Oligomere (Akteure in AD) sollen an Schäden und Tod von Neuronen beteiligt sein. Da ionisierende Strahlung oxidativen Stress und Entzündungen verursacht, die auch in AD auftreten, besteht die Möglichkeit, dass Strahlenbelastung mit Neurodegeneration verknüpft ist.
2 Gy Röntgenstrahlen ist eine häufig verwendete Dosis in der Strahlentherapie einer Vielzahl von Tumoren und wurde in dieser Arbeit als Strahlendosis alleine oder in Kombination mit der vorherigen Behandlung mit extern applizierten Aβ1-42 Peptid (die schädlichste Form) bei zwei unterschiedlichen Sauerstoffkonzentrationen eingesetzt.
Die in der Arbeit erhaltenen Ergebnisse betonen die Bedeutung von geeigneten Zellkulturbedingungen, insbesondere der Sauerstoffkonzentration, die in Studien der zellulären Reaktionen auf oxidativen Stress, ionisierende Strahlung und neurotoxischem Peptid eingesetzt werden müssen.
Änderungen der zellulären Reaktionen von nicht-differenzierten menschlichen Neuroblastom (SH-SY5Y) Zellen und von mit Retinsäure (RA) zur Induktion der Differenzierung vorbehandelten Zellen, die Neuronen ähneln, wurden unter drei Sauerstoffkonzentrationen parallel untersucht. Bei ~21% Sauerstoff, was gewöhnlich in Zellkultur-Inkubatoren verwendet wird, aber nie in Geweben des menschlichen Körpers vorkommt und bei 5% bzw. 1% O2, was der physiologischen Sauerstoffkonzentration im menschlichen Gehirn ähnelt. Zu diesem Zweck wurden O2-Inkubatoren aus Kunststoffbehältern angefertigt, in denen die Zellen in einem Gasgemisch mit 5% oder 1% O2, 5% CO2 und 90% oder 94% N2 kultiviert werden konnten.
Anfänglich wurden die Auswirkungen von zwei verschiedenen niedrigen Sauerstoffkonzentrationen (1% und 5%) in SH-SY5Y Zellen auf die Zellproliferation und ATP-Konzentration als Maß für den bioenergetischen Status getestet. 5% O2 war für die Kultivierung der SH-SY5Y Zellen besser geeignet, da die Proliferationsaktivität und die ATP-Konzentration höher waren als bei den Zellen mit 1% O2.
Die Ausgangshypothese war, dass Zellen, die einer nicht-physiologischen hohen Sauerstoffkonzentration ausgesetzt sind, gegenüber Strahlung und/oder dem Vorhandensein von Aβ Peptid aufgrund des Sauerstoffeffekts anders reagieren, empfindlicher oder unempfindlicher sind (d.h. erhöhte Empfindlichkeit aufgrund der erhöhten Bildung von schädlichem ROS und Modulation von Signalwegen oder aber unempfindlicher wegen vorheriger Adaptation dieser Prozesse).
Ein sehr wichtiges Ergebnis war, dass die Sauerstoffkonzentration in der Zellkultur und der Differenzierungsstatus von SH-SY5Y Zellen wichtige Modulatoren von zellulären Reaktionen auf Röntgenstrahlung und Aβ Peptid sind. Dies ergab sich aus den zell- und molekularbiologischen sowie aus den biochemischen Untersuchungen.
Die zur Induktion der Differenzierung verwendete Retinsäure führt zu morphologischen Veränderungen von SH-SY5Y Zellen (d.h. Abflachung des Zellkörpers und Bildung von langen Auswüchsen, die Axonen von Neuronen ähneln) und zu einer Erhöhung der Empfindlichkeit gegenüber Strahlung und Aβ Peptid in Abhängigkeit von der Sauerstoffkonzentration. Darüber hinaus spielt Sauerstoff eine Rolle bei der Differenzierung und Proliferation von SH-SY5Y Zellen, da die Menge an Neurofilament-M, ein Marker der Differenzierung, von der Sauerstoffkonzentration abhängig ist und bei 5% O2 kultivierten Zellen höher war. Der Proliferationstest zeigte ebenfalls eine erhöhte Zellzahl im Vergleich zu den kultivierten Zellen bei 21% O2.
Unter Verwendung einer sauerstoffempfindlichen optischen Sonde konnte nachgewiesen werden, dass die intrazelluläre Sauerstoffkonzentration [O2] sich von der externen Sauerstoffkonzentration unterscheidet. Die intrazelluläre [O2] von SH-SY5Y Zellen, die bei 21% O2 kultiviert wurden, war 10%, die bei 5% O2 kultivierten dagegen 0,9% O2. 5% externe Sauerstoffkonzentration ist für SH-SY5Y Zellen nicht hypoxisch, da keine Expression von Hypoxie-induzierbarem Faktor (HIF-1α) nachgewiesen wurde.
Veränderungen des aus SH-SY5Y Zellen isolierten mitochondrialen Proteoms wurden unter Verwendung einer Kombination von blau-nativer/2D-SDS-PAGE zur Proteintrennung, anschließende Färbung mit dem Fluoreszenzfarbstoff SYPRO Ruby und Quantifizierung von Proteinspotsintensitäten aus Gelbildern untersucht. Die Proteinmenge ausgewählter Untereinheiten von Enzymkomplexen der oxidativen Phosphorylierung (OxPhos) und anderer nicht-OxPhos-mitochondrialer Proteine (identifiziert durch MALDI-TOF/TOF-Massenspektrometrie und Western Blot) änderte sich bei der Bestrahlung nicht. Nur die Menge des Hitzeschockproteins 70 erhöhte sich in Abhängigkeit von der Sauerstoffkonzentration und dem Differenzierungsstatus.
Monomere und kleine Oligomere des Aβ Peptids interagierten mit SH-SY5Y Zellen, wie durch Durchflusszytometrie nachgewiesen wurde. Kompartimente mit niedrigem pH-Wert (d.h. Lysosomen und möglicherweise späte Endosomen) waren der Hauptzielort (Target) des Peptids während es nur in geringem Maße mit Mitochondrien und dem endoplasmatischen Retikulum in Wechselwirkung tritt, wie durch konfokale Rastermikroskopie sichtbar gemacht wurde.
Obwohl der Ort und die Kinetik der Wechselwirkung von Aβ Peptid mit SH-SY5Y Zellen, die bei 21% oder bei 5% O2 kultiviert wurden, ähnlich war, wurde eine verminderte lysosomale Integrität nach der Aβ Peptidbehandlung von SH-SY5Y Zellen allein bei 21% O2 beobachtet.
Aβ Peptid allein induzierte nur eine leichte Erhöhung von ROS (bis zu 1,2-fach), eine leichte Zunahme des mitochondrialen Membranpotentials und keine Änderungen in der ATP Konzentration und in der Menge von Glutathion (GSH) (ein Indikator für die Antioxidationskapazität der Zelle), unabhängig von der Sauerstoffkonzentration in der Zellkultur.
Strahlung allein führte zu einem signifikanten Anstieg der ROS (~ 1,5-fach) und einer leichten Erhöhung der ATP-Konzentration (~1,2-fach), aber nur in Zellen bei 5% O2. Eine leichte Zunahme des mitochondrialen Membranpotentials wurde bei 21% und 5% O2 beobachtet. Strahlung bewirkte eine leichten Anstieg der GSH-Menge bei 21% O2 und eine Abnahme bei 5% O2 (bis zu 1,2-fach).
Die Zunahme der Proteincarbonylierung (~ 2,5-fach) durch oxidativen Stress, gemessen im Oxyblot-Assay, war für bestrahlte Zellen bei 21% O2 spezifisch.
Ein sehr sensitiver Wirkungsort des oxidativen Stresses ist DNA, insbesondere mtDNA, die aber bis jetzt viel weniger untersucht wird als nukleare DNA. MtDNA wurde unter Verwendung von für mtDNA spezifischen Primern in PCR-Verfahren auf Änderungen in seiner Menge und auf das Vorhandensein von 4977 bp-Deletion untersucht. Aß Peptid oder Strahlung allein führen zu einer Veränderung der mtDNA Menge in Abhängigkeit von der O2 Konzentration: bis zu 1,3-fache Abnahme bei 21% O2 und bis zu 1,5-fachem Anstieg bei 5% O2. Das Auftreten der mtDNA-Deletion war für bestrahlte Zellen sowohl bei 21% als auch bei 5% O2 spezifisch, war aber bei 21% O2 stärker ausgeprägt.
Zum ersten Mal wurde die kombinierte Wirkung von Aβ Peptid und ionisierender Strahlung auf zelluläre Parameter und Zellüberleben untersucht. Die mit Aβ Peptid kombinierte Strahlung führte zu einem statistisch signifikanten Anstieg der ROS-Menge bei 21% (~1,2-fach) und 5% O2 (~1,4-fach), Erhöhung der ATP-Konzentration (1,5-fach) nur bei 5% O2, Erhöhung der GSH-Menge bei 21% O2 und Abnahme bei 5% O2 (bis zu 1,2 fach) und zu keiner Veränderung des mitochondrialen Membranpotentials.
Die Ergebnisse des Zelltod-Assays (Messung von apoptotischen und nekrotischen Zellen durch Durchflusszytometrie) zeigten, dass Aβ1-42 Peptid oder 2 Gy-Röntgenstrahlen allein zu einer signifikanten Zunahme des Zelltods von SH-SY5Y Zellen bei 5% O2 führte und nur in einer geringfügigen Zunahme bei 21% O2. Bemerkenswerterweise verringerte Aβ Peptid den Zelltod von bestrahlten Zellen auf das Kontrollniveau oder darunter, insbesondere bei 5% O2. Im Gegensatz zu den individuellen Stressoren führte die Kombination von Aβ Peptid und Bestrahlung nicht zu einer signifikanten Zunahme der Proteincarbonylierung, der mtDNA Deletion und der Änderung der mtDNA Menge. Daher bestimmt der anfängliche Oxidationsstress den Punkt, an dem zelluläre Abwehrmechanismen auftreten, und es ist möglich, dass in diesem Fall auch neuroprotektive Mechanismen ausgelöst werden.
Darüber hinaus zeigte diese Studie, dass die Inkubationszeit zusammen mit der Konzentration und dem Zustand des Peptids (disaggregiert versus aggregiert zu Fibrillen) ein entscheidender Faktor für die Aβ Peptid-Toxizität ist. Eine hohe Konzentration (100 µM) des fibrillären Peptids (induziert durch Lagerung bei 37 °C über Nacht) führte zum Zelltod von SH-SY5Y Zellen nach einem Tag. Allerdings war die Wirkung des disaggregierten Aß Peptids (100 μM) nach 3 Tagen Inkubation stärker ausgeprägt als bei fibrillärem Peptid. Aβ Peptid Behandlung verringerte den Prozentsatz von apoptotischen und nekrotischen Zellen (2,5-fach) in bestrahlten Zellen nach 1 Tag. Nach 3 Tagen wurde jedoch ein ~2,8-facher Anstieg von apoptotischen und nekrotischen Zellen im Vergleich zu unbestrahlten Kontrollzellen beobachtet.
Der beobachtete Weg von Aβ Peptid zu zellulären Organellen und die induzierten Veränderungen der Zellphysiologie, die vom Oxidationsstress abhängen, könnten für die AD Pathologie von Bedeutung sein.
Die erhaltenen Ergebnisse fordern den Einsatz von mehr physiologischen 5% O2 anstatt der nicht-physiologischen 21% O2 für die Kultivierung von SH-SY5Y Zellen, insbesondere bei Studien ihrer Reaktion auf Stress. Dies ist die Zuverlässigkeit der experimentellen Aussagen entscheidend. Zellen, die bei 5% O2 kultiviert wurden, zeigten eine höhere ATP Konzentration (~1,3-fach), eine niedrigere ROS Menge (1,5-fach), eine geringere Proteincarbonylierung (2,5-fach) und weniger mtDNA Deletion (2-fach) im Vergleich zu Zellen bei 21% O2. | German |