Der Zusammenhang zwischen der physikalischen Intensität t eines Reizes und dessen wahrgenommener Größe φ(t) kann mit Hilfe von Stevens’ (1956) Potenzgesetz, φ(t) = 〖αt〗^β beschrieben werden. Der Exponent der Potenzfunktion β, der für die Form der psychophysischen Funktion entscheidend ist, hängt von der untersuchten sensorischen Modalität ab und wird mittels direkter Skalierung geschätzt. Wie jüngste Entwicklungen in der axiomatischen Messtheorie zeigen, basiert die Anwendbarkeit der direkten Skalierung jedoch auf einigen Grundannahmen über das Skalierungsverhalten der Versuchsperson: Die Wahrnehmung von Reizen der untersuchten Modalität muss auf einem sensorischen Kontinuum sowie auf einer Verhältnisskala beruhen. Außerdem müssen die in den Instruktionen verwendeten Zahlen von der Versuchsperson veridikal, d.h. wie tatsächliche mathematische Zahlen verarbeitet werden. Um diese impliziten Grundannahmen empirisch testbar zu machen, entwickelte Narens (1996) die behavioralen Axiome Monotonie, Kommutativität und Multiplikativität. Eine strenge Testung dieser Axiome ergab, dass die meisten Versuchspersonen die dargebotenen Zahlen nicht veridikal verarbeiten. Steingrimsson und Luce (2007) untersuchten diese “numerische Verzerrung” und vermuteten stattdessen, dass das Verhältnis zwischen mathematischen und wahrgenommenen Zahlen als Potenzfunktion dargestellt werden kann. Das Ziel dieser Doktorarbeit bestand darin, diese Axiomatik für die Wahrnehmung kurzer Zeitdauern empirisch zu überprüfen. Dies wurde durch die Zusammenführung axiomatischer, aus unterschiedlichen theoretischen Ansätzen (Augustin, 2008; Narens, 1996; Steingrimsson & Luce, 2007) abgeleiteten Testverfahren erreicht. In einer gemeinsamen Testung evaluiert, bietet dieses Verfahren eine wesentlich genauere Bestimmung des Konzepts der Verhältnisskalierbarkeit als die meisten vorangegangenen Untersuchungen. Außerdem stand die menschliche Zeitwahrnehmung im Fokus der Untersuchung, die dieser axiomatischen Prüfung zuvor noch nicht unterzogen wurde. Ziel von Manuskript A (N = 25) war es herauszufinden, ob die impliziten Grundannahmen der direkten Skalierung für wahrgenommene Dauer gelten. Weiterhin wurde untersucht, ob die geschätzten Parameter von Stevens’ Potenzgesetz unter Änderung des Standards invariant bleiben und somit psychologisch relevant sind. Im Einklang mit Ergebnissen zu anderen Sinnesmodalitäten zeigte sich, dass Monotonie für die meisten Versuchspersonen gültig ist. Kommutativität wurde in 12.5% der Tests verletzt, während Multiplikativität in 32% der Tests ungültig war. Schwache Multiplikativität und Invertibilität wurden in über 50% der Tests verletzt, was auf ein Problem der psychologischen Relevanz hinweist. Manuskript B untersuchte, ob der Zusammenhang zwischen mathematischen und wahrgenommenen Zahlen von einer Potenzfunktion mit einem konstanten Exponenten darstellbar ist und ob ein Unterschied in der Verarbeitung von Brüchen und ganzen Zahlen besteht. Deshalb wurde das Axiom der k-
Multiplikativität für N = 25 Versuchspersonen getestet. Die Prüfung des Axioms ergab, dass der Zusammenhang zwischen mathematischen und wahrgenommenen Zahlen sehr gut von einer Potenzfunktion mit einem konstanten Exponenten beschrieben werden kann. Die unterschiedliche Verarbeitung von ganzen Zahlen und Brüchen zeigte sich u.a. dadurch, dass verschiedene Werte für k gefunden wurden. In Manuskript C wird die Bestimmung des Funktionszusammenhangs zwischen der Dauer des Standardreizes und der Größe der Potenzgesetz-Parameter beschrieben. Weiterhin wurde überprüft, ob die Standard-Abhängigkeit der Parameter auf die Methode der Verhältnisherstellung zurückzuführen ist oder ob tatsächlich eine Änderung der differentiellen Sensitivität vorliegt. Deshalb wurden die für sechs verschiedene Standarddauern t (0.1, 0.2, 0.3, 0.4, 0.5 und 0.6) geschätzten Potenzgesetz-Parameter mit den entsprechenden Weber-Brüchen verglichen. Die Ergebnisse der beiden Experimente mit N = 10 Versuchspersonen zeigten einen positiv-exponentiellen Zusammenhang zwischen der Dauer des Standards und dem Exponenten der Form β = 0.13t^0.3. Zwischen den Weber- Brüchen und der Dauer des Standards wurde eine negative Potenzfunktion der Form W = 0.84t^−0.3 gefunden. Zusammenfassend zeigte diese Doktorarbeit, dass die Wahrnehmung kurzer Zeitdauern auf einem sensorischen Kontinuum und einer Verhältnisskala beruht. Deshalb kann die Verwendung von direkter Skalierung zur Schätzung der Potenzgesetz-Parameter für Zeit als gerechtfertigt betrachtet werden. Weiterhin wurde gezeigt, dass ein Großteil der Versuchspersonen die im Experiment verwendeten Zahlen nicht wie mathematische Zahlen verarbeitet und daher eine inhärente numerische Verzerrung die eindeutige Interpretation der Skalenwerte beeinträchtigt. Trotzdem stellt diese numerische Verzerrung kein völlig willkürliches und undefinierbares Zahlenverständnis dar, sondern einen mathematisch gut beschreibbaren Zusammenhang – eine Potenzfunktion mit einem konstanten Exponenten. Da gezeigt wurde, dass ganze Zahlen und Brüche unterschiedlich verarbeitet werden, sollten diese innerhalb eines Skalierungsexperiments nicht kombiniert werden. Weiterhin zeigte diese Arbeit, dass die Modellierung von psychophysischen Funktionen, egal ob linear oder exponentiell, schwierig ist: Obwohl beide Modelle den Zusammenhang zwischen physikalischer und wahrgenommener Zeit gut abbilden können, hängen die entscheidenden Parameter von der Dauer des im Experiment verwendeten Standards ab und können deshalb nur bedingt
interpretiert werden. Der Zusammenhang zwischen der Standarddauer und der Größe des Exponenten scheint jedoch systematisch zu sein: Mit steigender Standarddauer zeigten sich steigende Exponenten und, unter identischen Bedingungen ermittelte, sinkende Weber-Brüche. Insgesamt kann also angenommen werden, dass die Sensitivität für wahrgenommene Dauer zwischen 100 und 400 ms steigt und sich zwischen 400 und 600 ms auf konstantem Level einpendelt. Eine von der Methode der Verhältnisherstellung verursachte Verzerrung konnte ausgeschlossen werden. | German |