Fast alle Ökosysteme weltweit sind heute durch menschliche Aktivitäten
gefährdet. Da sie gleichzeitig lebenswichtige Funktionen für die globale
Ernährung und das Wohlergehen der Menschheit sicherstellen, müssen wir
dringend die entscheidenden Prozesse in Ökosystemen und ökologischen
Gemeinschaften besser verstehen. Dabei ist es seit langem ein zentrales Anliegen
zu verstehen, wie die Stabilität von Gemeinschaften und der von ihnen
erbrachten Funktionen gewährleistet wird. Die vorliegende Arbeit knüpft dabei
an viel beachtete, aktuelle Forschungsergebnisse an: (1.) Es gibt allgemeingültige
Muster in den Körpergrößenverteilungen in Nahrungsnetzen. Diese scheinen so
universell zu sein, dass sie in sehr unterschiedlichen Ökosystemen
nachgewiesen werden konnten. (2.) Körpergrößenverhältnisse haben
tiefgreifende Auswirkungen auf die Interaktionen zwischen Individuen,
Populationen und Arten. Diese Interaktionen wiederum bestimmen, wie Energie
und Nährstoffe durch Nahrungsnetze zirkulieren und sind deshalb von
elementarer Bedeutung für Funktion und Stabilität von Ökosystemen.
Um generelle Muster von Körpergrößeneffekten bei Räuber-Beute-
Interaktionen zu untersuchen, führte ich verschiedene Laborexperimente durch.
Dabei habe ich die Beutedichte-abhängigen Fraßraten terrestrischer
Gliederfüßer innerhalb verschiedener experimenteller Ansätze untersucht. Für
die Analysen habe ich ein Interaktionsmodell konzipiert, mit dem ich anhand
taxonomischer Räuber-Beute-Paare mit unterschiedlichen Körpergrößen-
verhältnissen aufzeigen konnte, wie die maßgeblichen Parameter des Modells
von den Körpergrößen abhängig sind (Kapitel 2.1.). In Kapitel 2.2. zeige ich
dann, wie alleine anhand Körpergrößen-basierter Information ein großer Teil der
Varianz in den Fraßraten erklärt werden konnte, auch wenn der komplexere
Modellansatz der taxonomische und Größen-basierte Information miteinbezieht,
bessere Ergebnisse lieferte. In einem weiteren Schritt in Kapitel 2.3. habe ich mit
dem Ansatz aus Kapitel 2.2. einen wesentlich umfangreicheren Datensatz
analysiert. Hier wurde der Einfachheit halber die taxonomische Information
komplett außen vor gelassen. So konnte ich zeigen, dass die
Körpergrößenverteilung in Nahrungsnetzen mit bestimmten,
populationsdynamisch stabilisierenden Motiven in den Fraßraten einhergeht -
den so genannten „Typ III functional responses“ oder „sigmoid responses“. Genau
genommen werden diese stabilisierenden „sigmoid responses“ für große Räuber
auf kleinen Beuten gefunden. Im Folgenden habe ich ein dementsprechend erweitertes Interaktionsmodell in einer Modellsimulation von
Populationsdynamiken angewandt. Ein herausragendes Ergebnis dieser Arbeit
ist der anschließende Befund, dass die Ergebnisse der Simulation zu einem
hohen Maße mit natürlichen Größenverhältnissen von Räuber-Beute-Paaren
übereinstimmen. Die Experimente mit systematischer Varianz der Räuber- und
Beutegrößen, welche die Datengrundlage für die Kapitel 2.1.- 2.3. geliefert
haben, wurden allerdings in einfachen, reduktionistischen Versuchsanordnungen
gewonnen. Um den Bedingungen in natürlichen Lebensräumen etwas näher zu
kommen, habe ich in den beiden abschließenden Kapiteln den experimentellen
Ansatz erweitert: In Kapitel 2.4. habe ich getestet, inwiefern Vorhersagen, die
aus den einfacheren Modellen aus Kapitel 2.1. hergeleitet wurden, belastbar
sind, wenn der Räuber zwischen zwei verschieden großen Beuten (in
unterschiedlichen relativen Dichten) wählen kann. Anhand der Ergebnisse sowie
konzeptioneller Ausführungen konnte ich zeigen, dass die Präferenzen für große
Beuten über das vorhergesagte Maß hinausgingen (ich nenne dieses Phänomen
hier „aktive Präferenz“). Zusammen mit den natürlichen Abundanzen großer und
kleiner Beuten ergeben sich potentielle Muster von Fraßraten, die insgesamt zur
Stabilität von Nahrungsnetzen beitragen können. In Kapitel 2.5. habe ich
abschließend getestet, wie sich der Effekt von variierender Habitatstruktur auf
eine typische Räuber-Beute-Interaktion des Bodennahrungsnetzes auswirkt. Ich
konnte zeigen, dass variierende Mengen von Laubstreu sich in Form eines
Verdünnungseffektes auf Räuber- und Beutedichten auswirken, was vor allem
die Häufigkeit des Zusammentreffens von Räuber- und Beuteindividuen
beeinflusst. Dieses Phänomen sorgt dafür, dass man in Ökosystemen mit großen
Mengen Laubstreu nicht davon ausgehen kann, dass Beutepopulationen von
Räubern kontrolliert werden.
In dieser Arbeit konnte ich zeigen, dass biologische, Körpergrößen-abhängige
Mechanismen bei Räuber-Beute Beziehungen die Stabilität von Nahrungsnetzen
bedingen. Darüber hinaus scheinen aktive Präferenzen für große Beuten
zusammen mit Habitatstruktur-Effekten das typische Muster von wenigen
starken und vielen schwachen Interaktionen in natürlichen, ökologischen
Gemeinschaften zu erzeugen. Die Vielfalt und Komplexität der Natur mit
Millionen von Arten und einem Vielfachen an Interaktionen zwischen diesen
Arten hinterlässt uns Ökologen oftmals mit mehr Fragen als Antworten.
Quantitative Modellansätze, welche die natürliche Komplexität bewusst und
gezielt reduzieren, können daher ein geeignetes Werkzeug sein, um zu verstehen
wie Organismen interagieren. So können wir vielleicht eines Tages die
Funktionsweise und Stabilität von echten Ökosystemen verstehen. | German |