Die Prüfung neuer Arzneimittel in präklinischen Studien zur Voraussage potentieller Nebenwirkungen ist gesetzlich vorgeschrieben. In den letzten zehn Jahren sank die Anzahl an neu zugelassenen Wirkstoffen jedoch merklich, während die Kosten für deren Entwicklung anstiegen. Die Gründe hierfür sind zum einen Nebenwirkungen am Menschen, die durch Tierstudien nicht vorhergesagt werden konnten und zum Scheitern der Substanz in späten Entwicklungsphasen führten. Zum anderen gelangten einige Wirkstoffkandidaten aufgrund nicht tolerierbarer toxischer Effekte im Tier erst gar nicht in die klinischen Studien. Daher ist es notwending, in vitro-Tests zu entwickeln, die es ermöglichen, die Toxizität neuer Wirkstoffe vor dem Beginn der Tierstudien zu erkennen. Denn eine bessere Vorauswahl von Wirkstoffkandidaten für die präklinischen Studien könnte deren Erfolgsquote erhöhen, da sehr toxische Stoffe erst gar nicht am Tier getestet würden. Zudem liefern in vitro-Tests mechanistische Informationen, die die Interpretation von Beobachtungen in präklinischen und klinischen Studien unterstützen, da diese Tests mit tierischen und humanen Zellen durchgeführt werden können.
Die vorliegende Dissertation beschreibt einen Teil der Forschungsarbeiten, die im Rahmen des von der Europäischen Union geförderten Projektes Predict-IV durchgeführt wurden. Das Ziel von Predict-IV ist die Entwicklung eines tierversuchs-freien Prädiktionsmodells für die Toxizität neuer pharmazeutischer Wirkstoffe für die Organe Niere und Leber sowie das Zentrale Nervensystem. Im Bereich der Leber wurden primäre Human- und Rattenhepatozyten sowie die humane Hepatomazelllinie HepaRG über 14 Tage mit einer toxischen und einer nicht-toxischen Dosis von elf pharamazeutischen Referenzsubstanzen mit bekannter in vivo Toxizität behandelt. Nach einem, drei bzw. 14 Tagen erfolgte die Probennahme für Proteom- und Metabolomanalysen bzw. genetische und kinetische Untersuchungen.
Die genetischen Analysen wurden mit Hilfe einer globalen Genexpressionsanalyse mit Illumina BeadChips durchgeführt. In der vorliegenden Arbeit wurden die globalen Genexpressionsprofile von primären Rattenhepatozyten biologisch interpretiert, die mit sieben der elf Referenzsubstanzen behandelt worden waren. Das Ziel der Arbeit war, zu untersuchen, inwieweit wirkstoffbehandelte Rattenhepatozyten in der Literatur beschriebene in vivo-Effekte widerspiegeln. Dabei wurde der pharmakologische Wirkprozess von solchen Effekten abgegrenzt, die im Bezug zu in vivo-Toxizitäten diskutiert wurden.
Der PPARα-Agonist Fenofibrat erhöhte in Korrelation zu dessen pharmakologischen Wirkmechanismus die Expression von Genen, die für Enzyme des Lipidmetabolismus codieren. Zudem wurden Gene induziert, die im Zusammenhang mit oxidativem Stress und Glutathiondepletion stehen, den grundlegenden Mechanismen der Hepatotoxizität von Fenofibrat. Ähnliche Ergebnisse wurden für EMD335823 erzielt, was die Annahme stützt, dass auch dieser gestoppte Wirkstoffkandidat ein PPARα-Agonist ist. Valproinsäure und Acetaminophen deregulierten eine sehr geringe Anzahl von Genen, wodurch eine Rekonstruktion der in vivo-Effekte nicht möglich war. Dies schien in der Behandlung der Zellen mit einer zu geringen Dosis begründet gewesen zu sein.
Die PPARγ-Agonisten Troglitazon und Rosiglitazon induzierten Gene, die für arzneimittel-metabolisierende Enzyme codieren, die speziell Troglitazon zu einem potentiell zytotoxischen Metaboliten oxidieren. Zusätzlich wurde die Expression von Genen erhöht, die in den Glutathionmetabolismus und die Antwort auf oxidativen Stress als Hauptmechanismus der Toxizität von Troglitazon und Rosiglitazon involviert sind. Da beide Substanzen pharmakologisch hauptsächlich in Muskelzellen agieren, konnte ihr Wirkmechanismus nicht rekonstruiert werden. Metformin, das pharmakologisch in der Leber wirkt ohne schwere Nebenwirkungen zu verursachen, wurde als Negativkontrolle benutzt. Es deregulierte eine große Anzahl von Genen. Das Genexpressionsprofil unterschied sich jedoch deutlich von dem der hepatotoxischen Substanzen.
Im letzten Kapitel der vorliegenden Arbeit wurden die durch Fenofibrat, EMD335823, Troglitazon, Rosiglitazon und Metformin gemeinsam deregulierten Gene diskutiert. Der größte Teil dieser Gene war in den Lipidmetabolismus involviert, was mit dem Wirkmechanismus der untersuchten Substanzen zusammenzuhängen schien, da PPARα- und PPARγ-Agonisten den Lipid- und Glucosehaushalt regulieren.
Abschließend kann gesagt werden, dass die globalen Genexpressionsprofile der wirkstoffbehandelten primären Rattenhepatozyten zelluläre Mechanismen widerspiegelten, mit Hilfe derer hepatotoxische in vivo-Effekte erklärt werden können. Innerhalb der nächsten Schritte von Predict-IV werden die Genexpressionsprofile von primären Ratten- und Humanhepatozyten sowie HepaRG-Zellen verglichen, die mit allen elf Referenzsubstanzen behandelt wurden. Des Weiteren werden die Genexpressionsprofile der vier Substanzen, die in der vorliegenden Arbeit nicht diskutiert wurden, mit den Proteinexpressionsprofilen der behandelten Zellen verglichen werden. Zusätzlich werden die wahren Substanzkonzentrationen in der Zelle sowie die Kinetik des Substanzabbaus gemessen werden. Abschließend werden Speziesunterschiede sowie die Responsivität der HepaRG-Zellen im Vergleich zu den Primärzellen untersucht werden, um herauszufinden, welches Zellkultursystem am besten für den Aufbau eines frühen Screening-Tests geeignet ist. Zudem sollen Marker auf Gen- und Proteinebene gefunden und validiert werden, die in Zukunft die frühe Vorhersage der Hepatotoxizität neuer Wirkstoffkandidaten ermöglichen könnten. | German |