Mit dem Aufzeichnen der ersten pp und Pb–Pb Kollisionen am Large Hadron Collider (LHC) im November 2009 begann eine neue Epoche in der Hochenergie- und relativistischen Schwerionen- physik. Die in dieser Arbeit beschriebene Messung der Produktion von Hadronen, welche aus den leichten u, d und s Quarks aufgebaut sind, wird typischerweise bereits in relativ kurzer Zeit nach Beginn des Experimentes durchgeführt. Dies liegt zum einen in der Tatsache begründet, dass diese Teilchen mit viel größerer Häufigkeit entstehen als solche aus schweren c oder b Quarks. Zum an- deren bildet diese Messung die Basis für die Interpretation weiterer Observablen und damit ein de- taillierteres Verständnis der Kollision, insbesondere im Hinblick auf die entscheidende Frage, ob die in den Kollisionen entstehende hadronische Materie bei hohen Temperaturen in einer Phase vorliegt, in der das confinement der Quarks aufgehoben ist. Letztere Eigenschaft beschreibt das Verhalten von Quarks, unter normalen Umgebungsbedingungen immer in farbneutralen Zuständen gebunden zu sein. Im Gegensatz dazu sind Quarks und Gluonen in der sogenannten Quark-Gluon-Plasma Phase nicht mehr zu einzelnen Hadronen lokalisierbar. Eine Voraussetzung dafür ist das Vorliegen eines Mediums im lokalen thermischen Gleichgewicht und damit die Anwendbarkeit thermodynamischer und hydrodynamischer Konzepte, welche in dieser Arbeit auf der Basis von Transversalimpulsspektren von Pionen, Kaonen und Protonen überprüft wird.
Die Grundlage für die Extraktion der entsprechenden Spektren ist die Identifikation der entsprechen- den Teilchen. Das ALICE Experiment unterscheidet sich von den anderen großen LHC Experimenten ATLAS und CMS vor allem dadurch, dass in ihm alle bekannten Technologien zur Teilchenidenti- fizierung zur Anwendung kommen: spezifischer Energieverlust dE/dx, Übergangstrahlung, Flugzeit- messungen, Cherenkov-Strahlung und Kalorimetrie. Die entsprechenden Sub-Detektoren werden im ersten Kapitel dieser Arbeit vorgestellt. Die Teilchenidentifizierung über den spezifischen Energiev- erlust, welcher durch die Bethe-Bloch Funktion beschrieben werden kann, und die Vielzahl der dazu benötigten Kalibrierungen bilden einen Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit und werden im zweiten Kapitel detailliert dargestellt. Die Angleichung der Signalstärke der 557 568 Auslesekanäle erfolgt mit Hilfe von radioaktivem Krypton-Gas, welches in das TPC Gasvolumen eingeleitet wird. Weit- erhin muss beispielsweise die Abhängigkeit der Gasverstärkung als Funktion des Luftdrucks per- manent berücksichtigt werden. Da die ALICE TPC insbesondere für Pb–Pb Kollisionen optimiert wurde, müssen auch multiplizitätsabhängige Effekte beachtet werden. Nach Berücksichtigung aller notwendigen Korrekturfaktoren kann eine dE/dx-Auflösung von ca. 5.2% und eine entsprechende Separation von ca. 11.5σ zwischen minimal ionisierenden Teilchen und Teilchen auf dem Fermi- Plateau erreicht werden, welche sogar die erwarteten Werte des Technischen Design Reports leicht übertrifft.
Die mit Hilfe der TPC identifizierten Pionen, Kaonen und Protonen bilden die Basis der entsprechen- den pt -Spektren. Die entsprechende Analyse wird zusammen mit der benötigten Korrektur für die De- tektoreffizienz im zweiten Kapitel der vorliegenden Arbeit vorgestellt. Um den abgedeckten Bereich bezüglich des Transversalimpulses zu vergrößern, werden die erzielten Resultate mit unabhängigen Analysen basierend auf dem Energieverlust im Inner Tracking System und Flugzeitmessungen im TOF kombiniert. Die Spektren der individuellen Detektoren stimmen in den überlappenden Bereichen in- nerhalb von 5% in pp und 10% in Pb–Pb Kollisionen überein. Die zwei wichtigsten charakteristischen Größen der Spektren, der mittlere Transversalimpuls 〈pt 〉 und die integrierte Anzahl der produzierten Teilchen je Einheit Rapidität dN/dy, werden mit Hilfe entsprechender Fits in pp und Pb–Pb Kollisio- nen extrahiert.
Im darauffolgenden Kapitel werden die so erhaltenen Ergebnisse mit komplementären Messungen von Hadronen aus leichten Quarks (KS0, Λ, Ξ, Ω) verglichen, um sie in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Im Allgemeinen zeigt sich, dass sich die relative chemische Zusammensetzung der produzierten Teilchen nur leicht im Vergleich zu niedrigeren Energien verändert. Dies entspricht der Vorhersage des thermischen Modells, die genauer im abschließenden Kapitel diskutiert wird. Darüber hinaus ergibt sich, dass auch bei LHC Energien die Produktion von Teilchen mit Strange-Quarks in Pb–Pb Kollisionen weniger stark unterdrückt ist als in pp Kollisionen. Die Interpretation der Form der Spektren erfolgt auf der Basis von hydrodynamischen Methoden, die eine gute Beschreibung ermöglichen.
Die Messung von leichten Anti- und Hyper-Kernen wird im fünften Kapitel dargestellt. Mit der gegenwärtig zur Verfügung stehenden Statistik ist die Beobachtung von Anti-Kernen bis 4He möglich. Die grundlegenden Techniken zur Identifikation und Effizienz-Korrektur dieser seltenen Teilchen wer- den gezeigt. Darüber hinaus werden als Ausblick mögliche Trigger-Konzepte präsentiert und die Suche nach exotischen Zuständen, insbesondere eines gebundenen Di-Baryons aus einem Lambda und einem Neutron, vorgestellt. | German |