Die vorliegende Arbeit untersucht molekulare und ökologische Konsequenzen verschiedener Reproduktionsformen auf Hornmilben (Acari, Oribatida) als Modellorganismen. Die Erforschung der Evolution und Aufrechterhaltung von Sex und Parthenogenese ist eins der interessantesten Gebiete der Evolutionsbiologie. Bis heute ist nicht geklärt, warum Sex trotz der damit verbundenen Kosten für den Organismus die vorherrschende Vermehrungsweise im Tierreich ist: Weibchen müssen Zeit und Ressourcen in Partnersuche und Paarung investieren, sie müssen ihr Genom reduzieren und erzeugen im Vergleich zu parthenogenetischen Weibchen nur die Hälfte an reproduktiven Nachkommen (Kosten der Meiose + Kosten der Männchen = “twofold costs of sex“). Obwohl diese Kosten erdrückend erscheinen, vermehren sich nur 1% aller Metazoen parthenogenetisch. Drei so genannte „ancient asexual scandals“ - bdelloide Rotatorien, darwinulide Ostracoden und einige Linien der Oribatiden - widersprechen Theorien über die Funktionalität und Aufrechterhaltung von Sex, indem sie über lange Zeit ohne Mixis und Rekombination existieren. Oribatiden sind ideale Modellorganismen für die Erforschung molekularer und ökologischer Auswirkungen von Sex und Parthenogenese. Von den ca. 10.000 hauptsächlich boden-lebenden Arten vermehren sich etwa 9% parthenogenetisch; ein Prozentsatz, der ungewöhnlich hoch ist. In Waldböden sind außerdem bis zu 80% der Individuen parthenogenetisch. Dass sexuelle und parthenogenetische Oribatiden-Arten im selben Habitat koexistieren, vereinfacht es, den Einfluss ökologischer Faktoren (z.B. Ressourcen-Verfügbarkeit) auf die Verbreitung der beiden Reproduktionsweisen zu untersuchen. Die erste Studie der vorliegenden Arbeit untersuchte das bisher kontrovers diskutierte phylogenetische Verhältnis von Astigmata und Oribatida. Wir untersuchten die Hypothese, dass Astigmata aus den Desmonomata hervorgegangen sind anhand von DNA-Sequenzen für die Gene 18S und ef1α. Phylogenetische Analysen mit drei verschiedenen Methoden unterstützen den Ursprung der Astigmata innerhalb der Oribatida nicht, sondern gruppieren Astigmata außerhalb der Oribatida als Schwestergruppe der Endeostigmata. Die zweite Studie untersuchte die phylogenetischen Verwandtschaftsverhältnisse von sexuellen und parthenogenetischen Vertretern der Desmonomata. Dafür wurden drei Gene (ef1α, hsp82 und 18S) sequenziert und der kombinierte Datensatz phylogenetisch analysiert. Die Analyse der Merkmalsentwicklung und -verteilung von Sex und Parthenogenese ergab, dass Crotoniidae Sexualität von dem parthenogenetischen Cluster der Camisiidae zurück evolviert haben. Diese Umkehrung der Reproduktionsform ist einmalig im Tierreich und widerspricht „Dollo`s law“, das besagt, dass komplexe Merkmalszustände, nachdem sie einmal verloren gegangen sind, nicht mehr zurück erlangt werden können. In der dritten und vierten Studie wurden die mitochondriellen Genome der sexuellen Art Steganacarus magnus und der parthenogenetischen Art Platynothrus peltifer sequenziert. Dem Genom von S. magnus fehlen 16 tRNAs und die Gen-Reihenfolge unterscheidet sich von dem hypothetischen Grundplan. Die Sekundärstruktur der vorhandenen tRNAs unterscheidet sich stark von der typischen Kleeblatt-Struktur, was auch für P. peltifer gezeigt wurde. Die Gen-Reihenfolge bei P. peltifer unterscheidet sich ebenfalls vom Grundplan und von der bei S. magnus, wobei hauptsächlich die Gene nad1 und nad2 betroffen sind. Im Gegensatz zu unserer Hypothese ist keine Duplikation des Gens cox1 in P. peltifer vorhanden, stattdessen verursachen einzelne Nukleotid-Polymorphismen ein geringes Maß an intraindividueller Variabilität, die die hohe intraspezifische Diversität aus anderen Studien allerdings nicht erklären kann. Die fünfte Studie untersuchte die Wiederbesiedlung von Boden und Streu durch sexuelle und parthenogenetische Oribatiden und ihre Reaktion auf Ressourcen-Limitierung in Mikrokosmen über 10 Monate. Wie erwartet waren parthenogenetische Taxa von einer Ressourcen-Limitierung stärker betroffen als sexuelle. Dennoch lassen die Ergebnisse vermuten, dass die Wiederbesiedlung freier Habitate stärker von Faktoren wie Körpergröße und Generationszeit abhängt als von der Reproduktionsform. Generell hatten Weibchen sexueller Arten mehr Eier als parthenogenetische Weibchen. Die Ergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass parthenogenetische Arten ihre Investition in Reproduktion anpassen können, z.B. durch die Produktion weniger Eier bei abnehmender Ressourcen-Verfügbarkeit. Die sechste Studie untersuchte die Effekte der Verfügbarkeit von Ressourcen erhöhter Qualität auf die Abundanz sexueller und parthenogenetischer Taxa bei unterschiedlichen Temperaturen (10, 15, 20°C). Entgegen unserer Erwartungen sanken die Abundanzen aller Arten in allen Versuchsansätzen bei allen Temperaturen sowohl bei sexuellen als auch bei parthenogenetischen Taxa. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich Oribatiden im Freiland von anderen Ressourcen als leicht verfügbarem Kohlenstoff ernähren, z.B. von Mykorrhiza-Pilzen. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit erweitern und festigen die Stellung von Oribatiden als Modellorganismen in der Evolutionsbiologie. Die Umkehrung der Reproduktionsform bei Crotoniidae ist einmalig für „ancient asexuals“ und erlaubt die Untersuchung und den direkten Vergleich der genetischen Konsequenzen von Sex und Parthenogenese. Das Vorkommen spanandrischer Männchen in parthenogenetischen Taxa ermöglicht die Untersuchung von Genen, deren Genprodukte an Meiose, Spermatophoren-Produktion und Geschlechtsbestimmung beteiligt sind. Themen für zukünftige Studien beinhalten die Untersuchung von Populationsstrukturen anhand von Mikrosatelliten, die Suche nach transposablen Elementen und die Verifizierung, welche Rolle Qualität und Quantität von Ressourcen für das starke Auftreten von Parthenogenese bei Bodenmikroarthropoden spielen. | German |