Die Kapazität eines Verkehrsstroms ist einer der Hauptbestandteile zur Analyse der Leistungsfähigkeit im Verkehr. In entwickelten Ländern, in denen das primäre Verkehrsmittel das private Automobil ist, wurde insbesondere die Kapazitätsanalyse von signalisierten Knotenpunkten analysiert. In einigen Entwicklungsländern gibt es mehrere Besonderheiten gegenüber entwickelten Ländern im Verkehrsablauf, wie ein 80-prozentiger Verkehrsanteil von Motorrädern. Daher wurde der Begriff der motorradabhängigen Stadt / Motorcycle Dependent City (MDC) eingeführt. Außerdem unterscheidet sich das Fahrerverhalten von Kraftradfahrern in MDC sehr stark von dem Fahrerverhalten vierrädriger Fahrzeuge in autoabhängigen Städten. Deshalb können Modelle, die für die Analyse des Autoverkehrs bestimmt sind, nicht verwenden werden um die Leistungsfähigkeit des Motorradverkehrs zu analysieren und die Kapazität von signalisierten Knotenpunkten in Entwicklungsländern wie Vietnam zu beurteilen.
Diese Arbeit soll geeignete Modelle erarbeiten, die spezifische Charakteristika von Verkehrsströmen in MDCs berücksichtigen und Kapazitäten von Knotenpunkten in verschiedenen Verkehrssituationen erklären können. Das Ziel der Arbeit kann in folgende Unterziele aufgeteilt werden: Vorschlag einer geeigneten Kapazitätsberechnungsmethode; Identifizierung von Faktoren, durch die die Kapazität von signalisierten Knotenpunkten signifikant beeinflusst wird; Datenerhebung durch Feldbeobachtungen; Analyse von Knotenpunktkapazitäten in MDCs; Entwicklung eines Leitfadens für signalisierte Knotenpunkte in MDCs. Das Untersuchungsgebiet dieser Arbeit beschränkt sich auf MDCs in denen Motorräder einen sehr hohen Verkehrsanteil einnehmen.
Die umfassende Literaturrecherche zur Kapazitätsbetrachtung von signalisierten Knotenpunken wurde sowohl für autoabhängige Städte als auch für motorradabhängige Städte durchgeführt, um ein Verständnis für die Berechnungsmethoden in verschiedenen Ländern zu entwickeln. Eine Vielzahl von Methoden und Handbüchern für Autoverkehr, wie das deutsche Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS) (FGSV, 2015), das US-amerikanische Highway Capacity Manual (HCM) (TRB 2010), das indonesische Highway Capacity Manual 1997 (IHCM 1997), das malaysische Highway Capacity Manual 2011 (MHCM 2011), und das Manual on Traffic Signal Control von 2006 (JSTE 2006) werden vorgestellt. Zudem werden Modelle von Forschungsprojekten in MDCs dargestellt, um die Unterschiede der verschiedenen Verkehrssituationen in diesen und anderen Städten zu verdeutlichen. Grundsätzlich umfasst die Kapazität von signalisierten Knotenpunkten zwei Hauptkomponenten: Die resultierende Sättigungsverkehrsstärke und den effektiven Freigabezeitanteil. Die resultierende Sättigungsverkehrsstärke wird berechnet über die Sättigungsverkehrsstärke bei Standardbedingungen und zugehörige Abminderungsfaktoren. Abhängig von örtlichen Gegebenheiten und der verwendeten Methode kann sich der Prozess zur Bestimmung der Sättigungsverkehrsstärke zwischen autobasiertem Verkehrsfluss und motorradbasiertem Verkehrsfluss unterscheiden. In dieser Arbeit sollen die Modelle zur Bestimmung der Sättigungsverkehrsstärke dem grundlegenden Konzept früherer Studien folgen. Die Sättigungsverkehrsstärke bei Standardbedingungen wird untersucht, und Motorräder werden als Basiseinheit zur Homogenisierung des Verkehrsflusses verwendet. Danach wurde einige primäre Anpassungsfaktoren, wie Zufahrtsbreite, Fahrzeugtyp, Abbiegevorgänge auf das Modell angewendet. Der effektive Freigabezeitanteil beschreibt das Verhältnis zwischen der effektiven Freigabezeit und der Umlaufzeit. Im autobasierten Verkehrsfluss wurde nachgewiesen, dass die effektive Freigabezeit 1s höher ist als die angezeigte Grünzeit. Allerdings ist dieses Ergebnis für MDCs noch umstritten, und es besteht aufgrund der besonderen Verkehrscharakteristika die Notwendigkeit, dies zu evaluieren.
Die Verkehrseigenschaften an signalisierten Knotenpunkten in MDCs werden analysiert, um herauszufinden, welchen Effekt sie auf die Kapazität von Knotenpunkten haben. Die Verkehrseigenschaften werden wie folgt kategorisiert: Fahrzeugeigenschaften, Verkehrstärken, Geschwindigkeiten, Fahrstreifenzuordnung, Lichtsignalsysteme und Fahrerverhalten. Auf Grundlage der Literaturanalyse und den Verkehrseigenschaften wird das übergreifende Kapazitätsmodel für MDCs aus einer Kombination des Sättigungsverkehrsstärkenmodells, des Modells der effektiven Freigabezeit und des Zwischenzeitenmodells aufgebaut. Die Standardkapazität und die maximale Kapazität werden abhängig von den unterschiedlichen effektiven Freigabezeiten geschätzt. Neben dem vorgeschlagenen theoretischen Modell werden Feldbeobachtungen für den Kalibrierungsprozess des Modells in Ho Chi Minh City (Vietnam) durchgeführt. Die Inhalte und die Forschungsergebnisse zur Modellierung können wie folgt zusammengefasst werden:
• Die Sättigungsverkehrsstärke wird über die Sättigungsverkehrsstärke der Motorräder und die Anpassungsfaktoren bestimmt. Im Modell wird der Term „normalisierte Sättigungsverkehrsstärke’ eingeführt als die Sättigungsverkehrsstärke für einen Meter Zufahrtsbreite, da die Sättigungsverkehrsstärke pro Fahrstreifen in MDCs nicht geeignet für die Berechnung ist. Beobachtungsergebnisse haben gezeigt, dass sich eine normalisierte homogene Flussrate von Krafträdern von 3058 mcu/(h*m) während einer Freigabezeit größer oder gleich 16 s ergibt. Bei einer Freigabezeit von weniger als 16 s ergibt sich ein Wert von 3178 mcu/(h*m).
• Die Motorradeinheit (MCU) wurde als Basiseinheit in dieser Arbeit gewählt, um heterogene Ströme in homogene Ströme von Krafträdern umzurechnen. Die MCU-Äquivalenzwerte können aufgrund der Anteile von Autos im Verkehrsstrom variieren. Der MCU-Äquivalenzwert schwankt zwischen 5,5 und 6,8 in Abhängigkeit vom Verkehrsanteil der Autos von 5% bis 100%. Der empfohlene MCU-Äquivalenzwert für Autos, Minibusse und Busse beträgt jeweils 6,9 und 14,4.
• Neben dem Anpassungsfaktor für die Zufahrtsbreite zählen der Anpassungsfaktor für die Fahrzeugtypen und der Anpassungsfaktor für Abbiegevorgänge zu den primären Einflussfaktoren im Sättigungsverkehrsstärkenmodell. Die numerischen Ergebnisse zeigen, dass der Fahrzeugtyp der primäre Einflussfaktor ist und dazu beiträgt, die Kapazität einer Zufahrt signifikant zu verringern. In MDCs hängt der Effekt von abbiegenden Fahrzeugen, welche geradeausfahrende Fahrzeuge blockieren, von der Position im Verkehrsstrom ab. Unterschiedliche Abbiegearten haben unterschiedliche Effekte auf die Zufahrtskapazität. Rechts abbiegende Motorräder haben keinen Einfluss auf den Abfluss des Verkehrs, weil sie bereits auf der rechten Seite des Verkehrsstroms angeordnet sind. Rechtsabbiegende Autos haben jedoch einen signifikanten Einfluss auf den Abfluss anderer Fahrzeuge, da sie im Verkehrsstrom links angeordnet sind. Linksabbiegende Krafträder beeinträchtigen geradeaus abfließende Autos und links abbiegende Autos und reduzieren die Abflussgeschwindigkeit geradeausfahrender Fahrzeuge.
• Das Modell der effektiven Freigabezeit wendet eine Verkehrsdichteerfassung an, um die Anzahl der Fahrzeuge, die die Haltelinie in einer definierten Zeitperiode überfahren, zu zählen. Zwei Modelle wurden entwickelt: Modell 1, bei dem die Regel ‘kein Fahren über Rot’ streng befolgt wurde, und Modell 2, bei dem die Regel „kein Fahren über Rot’ nicht eingehalten wurde, was in Vietnam leider von vielen Fahrern getan wird. Im ersten Modell konnte festgestellt werden, dass die effektive Freigabezeit der angezeigten Grünzeit entspricht. Im zweiten Modell wurde festgestellt, dass die effektive Freigabezeit annähernd der angezeigten Grünzeit entspricht und diese lediglich um 2s überschreitet.
Das Zwischenzeitenmodell in MDCs ist vergleichbar mit der deutschen Methode, jedoch mit einigen Modifikationen. Es wird empfohlen, für die Überfahrzeit die Gelbzeit anzusetzen, welche in den meisten Fällen 3s beträgt. Die Räumzeit wurde um einen Interaktionszeitraum zwischen dem räumenden Geradeausstrom und dem jeweils entgegenkommenden räumenden Linksabbiegerstrom verlängert. Die Interaktionszeit ist abhängig von den Fahrzeugtypen im jeweiligen Verkehrsstrom und wurde mit 1s angenommen. Die Einfahrzeit wurde kalkuliert über den Einfahrweg, welcher definiert wurde als Distanz vom Mittelpunkt der Haltelinie bis zum Konfliktpunkt zwischen den einfahrenden und den räumenden Fahrzeugtrajektorien, und der beobachteten Einfahrgeschwindigkeit von 5 m/s.
• Die Standardkapazität und die Maximalkapazität wurden abhängig von den unterschiedlichen effektiven Freigabezeiten geschätzt. Die normale Kapazität wird gemeinsam mit der Regel „nicht über Rot fahren’, welche die Fahrer befolgen müssen, angenommen. Die maximale Kapazität wird unter der Annahme ermittelt, dass Fahrer sich nicht an die Regel „nicht über Rot fahren’ halten, was in Vietnam häufig zu beobachten ist. In dieser Arbeit wird die Standardkapazität für die Kapazitätsanalyse empfohlen. Die Maximalkapazität wird zur Widerspiegelung der aktuellen Verkehrssituation, in der das illegale Fahrverhalten nicht kontrolliert werden kann, herangezogen.
Nach der Vorstellung des umfassenden Kapazitätsmodells für signalisierte Knotenpunkte werden ein Verfahren zur Anwendung des Modells und eine Beispielkalkulation vorgestellt. Das Verfahren zur Anwendung des Modells wird in Form eines Leitfadens für operative und planerischer Zwecke ausgearbeitet, welcher eine schrittweise Kapazitätsberechnung für signalisierte Knotenpunkte in MDCs enthält. Die Arbeit schließt mit Empfehlungen, Einschränkungen und einem Ausblick auf weiteren Forschungsbedarf ab, | German |