Ein Beitrag zum dynamischen Verhalten beim Gewindebohren durch die Entwicklung eines analytischen Modells sowie den Einsatz eines sensorischen Werkzeughalters
Ein Beitrag zum dynamischen Verhalten beim Gewindebohren durch die Entwicklung eines analytischen Modells sowie den Einsatz eines sensorischen Werkzeughalters
Das Gewindebohren zählt nach wie vor zu den am häufigsten eingesetzten Fertigungsverfahren zur Herstellung von Innengewinden. Da in der Regel das Gewindebohren in den letzten Bearbeitungsschritten in der Fertigung eines Bauteils ausgeführt wird, stellt es einen kritischen Fertigungsprozess dar, da infolge von Prozessfehlern, wie z. B. dem Werkzeugbruch, hohe wirtschaftliche Schäden entstehen können. Aus dem gegenwärtigen Stand der Forschung geht zwar hervor, dass einige Forschungsarbeiten zum Gewindebohrprozess im Hinblick auf die Verbesserung des Prozessverständnisses und der Zuverlässigkeit des Gewindebohrens existieren, jedoch hier eine Wissenslücke zum dynamischen Verhalten beim Gewindebohren vorliegt. Die wenigen existierenden Forschungsarbeiten zum dynamischen Verhalten beim Gewindebohren lassen unter anderem den Einfluss des instationären Werkzeugeingriffs bzw. des Werkzeug-Werkstück-Kontaktes auf das dynamische Verhalten unbeleuchtet. Um diese Forschungslücke zu beleuchten, wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit ein Beitrag zum Verständnis über das dynamische Verhalten von Gewindebohrern durch analytische und experimentelle Untersuchungen der Werkzeugschwingungen des Gewindebohrwerkzeuges während des Gewindebohrprozesses geleistet. Um dieses Forschungsziel zu erreichen, wurden drei Forschungsfragen abgeleitet und untersucht. Die erste Forschungsfrage beschäftigt sich mit der analytischen Berechnung der instationären Eigenfrequenzen der Werkzeugschwingungen des Gewindebohrwerkzeuges unter Berücksichtigung des instationären Werkzeugeingriffs. Zur Entwicklung des analytischen Modells wurde die komplexe Werkzeuggeometrie des Gewindebohrwerkzeuges zunächst durch ein segmentiertes Balkensystem mit kontinuierlicher Masse modelliert. Basierend auf den Erkenntnissen der Voruntersuchungen konnte das System des analytischen Modells auf das Gewindebohrwerkzeug eingegrenzt und als ein einseitig eingespanntes Balkensystem betrachtet werden, sofern kein Werkzeugeingriff vorliegt. Der instationäre Werkzeugeingriff wurde im analytischen Modell durch eine Schiebehülse modelliert, um die zeitabhängige Länge des modellierten Gewindebohrwerkzeuges infolge der axialen Vorschubbewegung der Prozesskinematik zu berücksichtigen. Die aufgrund der Prozesskinematik resultierenden komplexen Bewegungsgleichungen konnten durch Berücksichtigung der zugrunde liegenden niedrigen Vorschubgeschwindigkeit sowie durch eine quasi-statische Betrachtung der zeitabhängigen Länge des Balkensystems vereinfacht werden. Hierdurch konnte die erste und zweite instationäre Biegeeigenfrequenz sowie die erste instationäre Torsionseigenfrequenz des modellierten Gewindebohrwerkzeuges analytisch berechnet werden. Zur Untersuchung der zweiten und dritten Forschungsfrage wurde zunächst ein sensorischer Werkzeughalter entwickelt, welcher die hochfrequente und hochauflösende Erfassung der Werkzeugschwingungen am Gewindebohrer während des Gewindebohrprozesses ermöglicht. Hierbei kam ein eigens entwickelter Werkzeugschwingungssensor auf Basis von MEMSBeschleunigungssensoren zum Einsatz, welcher unmittelbar an das Gewindebohrwerkzeug appliziert wird. Nach Validierung des sensorischen Werkzeughalters im Feld wurde die zweite Forschungsfrage untersucht, welche sich mit der experimentellen Bestimmung der Eigenfrequenzen des Gewindebohrwerkzeuges während des Gewindebohrprozesses unter Verwendung des sensorischen Werkzeughalters beschäftigt. Auf Basis der Auswertung der experimentellen Ergebnisse im Zeit-Frequenz-Bereich sowie der hinreichend guten Beschreibung der analytisch bestimmten instationären ersten Biegeeigenfrequenz konnte gezeigt werden, dass während des Gewindebohrprozesses die erste Biegeeigenfrequenz angeregt wird und diese ein instationäres Verhalten aufweist, wobei diese beim Hingang bis zum vollständigen Werkzeugeingriff steigt und beim Rückgang entsprechend abnimmt. Die mithilfe des analytischen Modells berechnete zweite instationäre Biegeeigenfrequenz sowie die instationäre erste Torsionseigenfrequenz konnten im Rahmen der experimentellen Untersuchungen unter Verwendung des sensorischen Werkzeughalters nicht ermittelt werden. Die dritte Forschungsfrage beschäftigt sich mit der Untersuchung des Einflusses des Werkzeugverschleißes auf die Werkzeugschwingungen des Gewindebohrwerkzeuges. Hierbei wurde ein Verschleißversuch durchgeführt, wobei bis zum Auftreten des Werkzeugbruchs die Werkzeugschwingungen unter Verwendung des sensorischen Werkzeughalters aufgezeichnet wurden. Durch eine Auswertung der Ergebnisse im Zeit-Frequenz-Bereich sowie einer qualitativen Auswertung des Verschleißzustandes des Gewindebohrwerkzeuges anhand mikroskopischer Aufnahmen konnte gezeigt werden, dass mit fortschreitendem Werkzeugverschleiß eine hochfrequente Schwingungsanregung des Gewindebohrwerkzeuges beim Rückgang auftritt. Mithilfe einer numerischen Modalanalyse konnte gezeigt werden, dass es sich bei dieser hochfrequenten Schwingungsanregung um die erste Torsionseigenfrequenz des Gewindebohrwerkzeuges handelt. Im Ausblick der Arbeit werden zum gegenwärtigen Stand der Forschung unbeleuchtete Forschungsfragen hinsichtlich des Einflusses anderer Prozessfehler beim Gewindebohrprozess auf die Werkzeugschwingungen des Gewindebohrwerkzeuges formuliert.
The tapping process is still one of the most frequently used manufacturing processes for the production of internal threads. Since the tapping process is usually carried out in the final machining steps in the manufacturing of a component, it represents a critical manufacturing process, as process errors, such as tool breakage, can result in high economic losses. Although the current state-of-the-art provides some existing research about the tapping process regarding the improvement of process understanding as well as process reliability, there is a research gap about the dynamic behavior of the tapping process. The few existing research papers on the dynamic behavior of the tapping process do not address the influence of non-stationary tool engagement (tool-workpiece contact) on the dynamic of tapping. To bridge this research gap, this study contributes to the understanding of the dynamic behavior of the tapping tool based on analytical as well as experimental investigations of the tool vibrations of the tapping tool during the tapping process. To achieve this research objective, three research questions were derived and examined. The first research question focuses on the analytical calculation of the instantaneous natural frequencies of the tapping tool’s vibrations, considering the instantaneous tool engagement. To develop the analytical model, the complex tool geometry of the tapping tool was initially modeled as a segmented beam system with continuous mass. Based on preliminary investigations, the analytical model system was confined to the tapping tool and considered a cantilevered beam system, when no tool engagement is provided. The instantaneous tool engagement was considered in the analytical model using a sliding sleeve boundary condition to consider the time-dependent length of the modeled tapping tool due to the axial feed motion according to the process kinematics. The complex equations of motion resulting from the process kinematics were simplified by considering the underlying low feed rate and a quasi-static approach of the time-dependent length of the beam system. This enabled the analytical calculation of the first and second instantaneous bending natural frequencies and the first instantaneous torsional natural frequency of the modeled tapping tool. To investigate the second and third research questions, a sensory tool holder was first developed, enabling high-frequency and high-resolution detection of tool vibrations of the tapping tool during the tapping process. A specially developed tool vibration sensor based on MEMS accelerometers was used, which is directly applied to the tapping tool. After validating the sensory tool holder in the field, the second research question was examined, which deals with the experimental determination of the natural frequencies of the tapping tool during the tapping process using the sensory tool holder. Based on the evaluation of the experimental results in the time-frequency domain and the sufficiently accurate modeling of the analytically determined first instantaneous bending natural frequency, it was shown that the first bending natural frequency is excited during the tapping process and exhibits an instantaneous behavior, increasing during forward motion until full tool engagement and decreasing accordingly during return motion. The second instantaneous bending natural frequency and the first instantaneous torsional natural frequency calculated using the analytical model could not be determined in the experimental investigations using the sensory tool holder. The third research question examines the influence of tool wear on the tool vibrations of the tapping tool. A wear test was carried out in which the tool vibrations were recorded using the sensory tool holder until tool breakage occurred. Analyzing the results in the time-frequency domain and qualitatively assessing the wear condition of the tapping process tool using microscopic images showed that as tool wear progresses, a high-frequency vibration excitation of the tapping tool occurs during the return motion. A numerical modal analysis demonstrated that this high-frequency vibration excitation corresponds to the first torsional natural frequency of the tapping tool. The study's outlook formulates research questions regarding the influence of other process errors during the tapping process on the tool vibrations of the tapping tool that remain unexplored in the current state-of-the-art.
